: Die Donau soll sie alle einen
Die Pannonische Tiefebene ist fruchtbar. Doch die Region verarmt und ist politisch zerrissen. Für einen Neuanfang muss sie sich nach Europa öffnen
aus Novi Sad und VukovarERICH RATHFELDER
Es ist der weite Horizont, der hier so fasziniert. Unendlich scheinen die Felder, gelb wogen die Sonnenblumen und das für Juni schon hoch stehende Korn. Überall in dieser Region, in Ostslawonien, der Vojvodina, in Südungarn, Westrumänien und Bosnien, bietet sich dieses Bild. Das Schwemmland von Donau, Theiß und Save hat das Land so fruchtbar gemacht.
Die Vorfahren der jetzigen Bewohner dieser Tiefebene, meist Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts von den Habsburgern ins Land geholt, machten die Sümpfe der Flüsse urbar. Bis 1918 waren die Pannonische Tiefebene und das Gebiet bis nach Belgrad ungarisches Land, das von mehr als 25 Nationen mit ihren Sprachen und Religionen besiedelt war – eine Kornkammer der Habsburger Doppelmonarchie. In den Städten war es selbstverständlich, mehrere Sprachen zu sprechen, Ungarisch und Deutsch, Rumänisch und Kroatisch oder Serbisch. Auch Slowaken und Tschechen, Ruthenen und Ukrainer, Italiener, Juden, Bulgaren und andere konnten in diesem Vielvölkerstaat ihre Sprache und Kultur pflegen.
Heute ist das anders. Drei Kriege wurden im 20. Jahrhundert hier geführt, und die haben in der eigentlich zusammengehörenden Region neue Grenzen gezogen – so verlor allein Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg mehr als die Hälfte seines Staatsgebiets. Aber auch die Menschen haben sich verändert. Die einen wurden vertrieben und sogar vernichtet, andere von den Regierungen hier angesiedelt. 280.000 Serben aus Kroatien und Bosnien sind in den letzten Jahren in die Vojvodina gekommen.
Und dennoch: „Wir sind eine Region“, sagt der Präsident des Parlamentes der Vojvodina, Nenad Canak. „Wir haben unseren liberalen und toleranten Charakter bewahrt.“ Der Enddreißiger Canak, der heute der serbischen demokratischen Parteienkoalition DOS angehört, war während der Milošević-Zeit einer der prominentesten Kritiker der Kriegspolitik. Er tritt für die Autonomie der Vojvodina im Rahmen des serbischen Staates ein. Doch seine Vision von einer europäischen Region, die die gesamte Tiefebene umfassen würde, sprengt schon jetzt die gezogenen Grenzen. So weit wie er will in Serbien und auch Kroatien kaum jemand gehen. Canak ist einer jener Politiker, die in der regionalen Zusammenarbeit und dem erneuten Zusammenwachsen der Region nicht nur eine Stabilisierung des Friedens, sondern auch der Demokratie sehen. Zum Schrecken der serbischen Nationalisten ist er zum Verteidiger der multikulturellen Identität geworden. Und Canak weiß die Mehrheit der fast zwei Millionen Menschen zählenden Bevölkerung der Vojvodina hinter sich.
In den Dörfern rund um Novi Sad ist seit dem Beginn des Krieges 1991 die Landwirtschaft im Niedergang. Viele der Kooperativen funktionieren nicht mehr. Bewässerungsgräben sind von Pflanzen überwuchert, es fehlt an Kapital und Know-how. In den von ungarischen Familien seit Beginn des Krieges verlassenen Häusern sind serbische Flüchtlinge untergebracht, die von Landwirtschaft wenig verstehen. Dass Delegationen der Europäischen Union und aus Nordrhein-Westfalen hier waren und das Gelände prüften, ja sogar versprachen, man könne hier ökologisch BSE-freie Rinder züchten, hat dennoch Hoffnungen geweckt. Der Wunsch einer über 80-jährigen Serbin: „Die Ungarn und Deutschen sollten zurückkommen, die Grenzen sollten offen sein, wir sind doch auch Europa.“ Die Realität sieht anders aus.
Mit der Aufnahme Ungarns in die EU würden die ethnischen Ungarn aus der Vojvodina dort plötzlich zu Ausländern. „Dann müssen wir alle, Serben, Bosnier und Kroaten, Visagebühren für einen Besuch in Ungarn bezahlen. Das kann sich doch keiner leisten“, sagt ein Mitarbeiter der Demokratischen Partei der ungarischen Minderheit. Mit Ungarn als Schengenland würde sich Europa abschotten. Da Budapest diese Sorgen kennt, hat das ungarische Parlament in der letzten Woche ein Gesetz verabschiedet, das den ungarischen Mnderheiten in den Nachbarstaaten besondere Rechte zubilligt. Ein Visum ist demnach nicht mehr nötig. Doch das Gesetz teilt die Bürger Serbiens in zwei Klassen, daher haben OSZE und EU dagegen protestiert. Immerhin, diesen Sommer soll ernst gemacht werden mit der Beseitung der Trümmer der Donaubrücken bei Novi Sad, die von Nato-Flugzeugen 1999 zerstört wurden. Und schon im Winter soll eine Fahrrinne öffnen, dann werden die Binnenschiffe wieder von Passau bis zum Schwarzen Meer fahren können. 25 Millionen Euro werden von der EU, Deutschland und Österreich für dieses Projekt ausgegeben.
Morgen soll in Brüssel ein regionales Handelsabkommen unterschrieben werden, das einen zollfreien grenzüberschreitenden Warenverkehr garantiert. Nach weiteren Verhandlungen werden die fünf Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, außerdem Ungarn und Rumänien, später auch Bulgarien dann Schritt für Schritt eine Freihandelszone bilden, sagt der österreichische Diplomat Johann Sattler, Mitarbeiter des Stabilitätspaktes in Brüssel. Und sein deutscher Kollege Kilian Kleinschmidt, in Brüssel für Flüchtlingsfragen zuständig, begrüßt, dass von allen Staaten des ehemaligen Jugoslawien am gleichen Tag ein Memorandum unterzeichnet wird, in dem die Eigentumsrechte der Vertriebenen anerkannt werden: „Jetzt können echte Verhandlungen über die Rückkehr stattfinden.“ Außerdem biete das Abkommen den Flüchtlingen die Möglichkeit, in ihrer jetzigen Heimat zu bleiben und trotzdem ihr Eigentum zurückzubekommen.
Von Novi Sad in der Vojvodina bis ins kroatische Vukovar sind es nur siebzig Kilometer. Doch hier ist alles ganz anders. Im Zentrum der Stadt, die im Herbst 1991 durch die Artillerie der serbischen Truppen zerstört wurde, stehen immer noch nur Ruinen. Wenige Kroaten sind in die Trümmerlandschaft zurückgekehrt. Viele der Vertriebenen von einst haben inzwischen in Zagreb Fuß gefasst. „Was soll ich auch in Vukovar? Es gibt keine Arbeit, die Schulen sind schlecht, das Hospital fällt fast auseinander“, sagt Anton Ivanović, 31-jähriger Angestellter einer Firma für elektronische Bauteile in Zagreb. Er steht vor den Trümmern seines Hauses. Geld, es wieder aufzubauen, hat er nicht.
Auch nicht Petar Sivković. Sein halb zerstörtes Haus liegt etwas außerhalb des Zentrums und ist notdürftig wieder hergerichtet. Das Dach ist repariert, ein Ofen installiert, zwei der vier Räume sind wieder bewohnbar. Der 67-jährige Serbe ist offiziell wieder in die Stadt zurückgekehrt, hat sich hier polizeilich gemeldet und den kroatischen Pass erhalten. Er bekommt in Kroatien eine Rente von umgerechnet 270 Mark. Die Familie lebt aber weiterhin in der Vojvodina, wo die Rente weit niedriger ist. Und dort verbringt Petar auch die meiste Zeit. Das Haus in Vukovar hat er wieder in Besitz genommen, sein Leben aber findet woanders statt. Eine Euro-Region Pannonische Tiefebene sei ein abstrakter Begriff, sagen Sivković und Ivanović. Solange es keinen wirklichen wirtschaftlichen Aufschwung gibt, sei das alles nur Gerede.
Die kroatische Regierung ist zudem vorsichtig, zu viel von neuer Integration der Region zu reden. Niemand möchte den Anschein erwecken, ein neues Jugoslawien würde gebaut. Erst zehn Jahre sei es her, dass Vukovar von serbischer Artillerie zerstört wurde, meint Valtr P., Mitarbeiter im Landwirtschaftsministerium. „Regionale Kooperation ja, aber nicht zu offiziell und an die große Glocke gehängt“, ist seine Position. „Dass die Grenzen wieder durchlässiger werden, hat ohnehin mehr mit dem Interesse des Großkapitals zu tun als mit dem der Bevölkerung, wieder zusammenzuleben. Dem Kapital ist einfach der Wirtschaftsraum Kroatien zu klein. Kroatien hat nur fünf Millionen Einwohner, welche große Firma will da investieren, wenn nicht der gesamte südosteuropäische Markt zur Verfügung steht?“
Das große Kapital erzwingt also die Integration des Wirtschaftsraumes Südosteuropa. In Brüssel möchte man dies nicht verneinen. Schließlich diene der Zwang zur Kooperation auch dem Frieden. Die Idee des Präsidenten der Vojvodina von einer demokratischen und multikulturellen Region aber wird wohl noch lange ein Traum bleiben müssen.
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