NEUE TARIFE DER BAHN WIRKEN KUNDENFREUNDLICH – SIND ES ABER NICHT: Mag die Bahn das Bahnfahren nicht?
Der Tarifwirrwarr bei der Bahn war auch für viele Kunden ein Gräuel – wem macht es schon Spaß, wenn das Erstehen eines günstigen Tickets ein Intelligenztest ist. Das neue System mit Grundpreis, drei Vorbestellrabatten, Bahncard, Mitfahrerrabatten, Familienregelungen und den Kombinationsregelungen sieht aber auch nicht einfach aus, zumal nicht klar ist, welche zusätzlichen Bestimmungen noch zu berücksichtigen sind (Zuschläge, Flächentarife, Gruppenfahrscheine, Zeitfahrkarten).
Man muss also weiterhin hin und her rechnen, zumal die Vorbestellrabatte auch noch eine genaue Terminplanung erfordern – bei den beiden höheren Rabattstufen sogar schon für die Rückfahrt. Damit wird die kurzfristige Planungsfreiheit gegenüber dem Auto weiter verschlechtert – kein Ruhmesblatt für die Tarifphilosophen der Bahn. Klar, wenn es, wie beim Flugzeug, hauptsächlich um die jährliche Urlaubsreise geht, auf die man sich wochen- und monatelang einstellt, dann funktioniert das ganz gut. Für eine häufigere Nutzung ist es eher ein unpraktisches Hindernis.
Natürlich ist es interessant, wenn man durch Vorbestellung Rabatte bekommen kann, aber wie groß ist der Vorteil? Angeblich reservieren schon jetzt 70 Prozent der Kunden im Fernverkehr, also immerhin etwa jeder Dritte, nicht. Und wie viele Reservierungen tatsächlich genutzt werden, weiß man nicht. Bisher kein Problem: Kommt man nicht so schnell weg, dauert die Sitzung etwas länger, leert man die Kaffeetasse bei Oma und Opa langsamer, dann nimmt man eben den nächsten Zug. Oder man lässt eine Reservierung sausen, um früher zu Hause zu sein. Jetzt wird das schwierig: umbuchen, so weit möglich, und nachzahlen. Der Preisvorteil ist dahin. Es sieht nicht so aus, dass dies die Kundenzufriedenheit erhöht. Zumal die bewährte Bahncard abgewertet wird.
Zweck der Übung soll ja neben der angeblichen tariflichen Vereinfachung die gleichmäßigere Auslastung der Züge sein. So will man auch überfüllte Abteile vermeiden. Wenn man das dadurch erreichen will, dass man weniger Passagiere befördert, dann ist das schon ein recht eigentümlicher Weisheitsbeweis, jedenfalls aus Verkehr- und Umweltgründen höchst unerwünscht. Proaktive Unternehmen würden Nachfragedruck eher als Signal zur Ausweitung des Angebots nutzen.
So kommt denn heraus, dass die neue Tarifstruktur vielleicht auch für die Deutsche Bahn nicht so vernünftig ist. Aber vielleicht mag man dort das Bahnfahren gar nicht so sehr und möchte die aktuellen und künftigen Angebotskürzungen geeignet flankieren. KARL OTTO SCHALLABÖCK
Verkehrsexperte beim Wuppertal Institutfür Klima, Umwelt, Energie
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