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Kesse Babes of Summer

Nach dem 1:0 im Finale der Fußball-Europameisterschaft gegen Schweden will das deutsche Frauenteam vor allem zwei Dinge in die Zukunft hinüberretten: das erwachte Selbstbewusstsein amerikanischer Prägung und die offensive Pressearbeit

aus Ulm MATTHIAS KITTMANN

Die „Babes of Summer“ haben ihre Mission erfüllt. Das Golden Goal von Claudia Müller in der 98. Minute besiegelte ein Erfolgsprogramm, das sich die deutschen Fußballfrauen für diese EM auferlegt hatten.

„Wenn man schon vorher groß herausposaunt, dass für uns nur der Titel zählt, dann muss man auch etwas bieten“, sagte Bundestrainerin Tina Theune- Meyer. Das Endspiel wollten immerhin 3,9 Millionen Fernsehzuschauer sehen, so viel wie noch nie bei einem Frauenfußballspiel in Deutschland. Es war ein Turnier, das mit insgesamt fast 90.000 Besuchern den Rekord für eine Frauen-Europameisterschaft um fast das Dreifache übertraf.

Dass Theune-Meyer überhaupt einmal etwas „rausposaunen“ würde, damit hatte wohl niemand gerechnet. Die oft scheu wirkende Trainerin ist die Verantwortliche dafür, dass die Mannschaft mit „Ami“- Selbstvertrauen und „Ami“-PR ihr Projekt verkauft hat. Statt sich wie früher brav in die zweite Reihe zu stellen und nur zu antworten, wenn sie gefragt werden, sagten die jungen Frauen jedem, der es hören wollte: „Hey, wir wollen Europameister werden, und niemand wird uns daran hindern.“ Die Abkapselung von einst war passee, noch nie war die Zusammenarbeit zwischen Team und Journalisten so unkompliziert. Theune-Meyer ist der traditionellen Denkweise im DFB um Längen voraus.

Mit dieser Offenheit hat sie sich und die Mannschaft gewaltig unter Druck gesetzt. Aber das macht den Erfolg umso süßer. Erst wenn man sich wie in der ersten Halbzeit selbst ganz tief aus dem Sumpf ziehen muss, weil nichts klappen will, ist genau dieser Charakter gefragt, der große Mannschaften ausmacht. Auch alle großen Titelträger bei den Männern hatten bei Turnieren immer auch Spiele, die sie hätten verlieren können.

Wie die Mannschaft ab der 60. Minute zunehmend begann, sich von den Fesseln zu befreien und ihren Willen dem Gegner aufzudrängen, ist ein Lehrstück über das Funktionieren eines Gruppengefüges. „Wir hatten in der Vergangenheit schon einige gute Mannschaften, die auch Erfolg hatten, aber diese hier ist eine ganz große, wahrscheinlich die beste, die je für Deutschland gespielt hat“, sagte Theune-Meyer.

Bestimmt war dieses Finale nicht das beste Spiel dieser EM, aber es war jenes, das die größte Willenskraft, das heißt: Siegermentalität erforderte. Noch in der 70. Minute hätte Schweden in Führung gehen können, als ein Freistoß von Malin Andersson wie ein Irrläufer durch die deutsche Abwehr rutschte. Doch als dieser Ball nicht reinging, drehte die Mannschaft den Spieß um. Nach dem Ende der regulären Spielzeit bildete sie einen Kreis wie sonst nur vor dem Spiel, und mit ihrem lauten „Are you ready“ begann ein neues Spiel. Ein Spiel ohne Angst vor dem Risiko des Sudden Death, sondern mit der Lust auf das Golden Goal. Ein Spiel, in dem die überragende Abwehrspielerin Steffi Jones beschloss, „notfalls selbst den Ball reinzumachen, wenn es sonst niemand macht“, und ein Spiel, in dem Claudia Müller bei ihrem quälend langen Lauf auf das Tor dachte: „Du bist jetzt nicht so trottelig und schießt vorbei, der geht rein.“

Das finale Duell: Hie Malin „Pippi“ Moström, die moderne Version von Pippi Langstrumpf, dem „stärksten Mädchen der Welt“, mit Sommersprossen und zwei frechen Zöpfen; da Claudia „Olivia“ Müller, wegen Körperhaltung und Frisur nicht unähnlich Popeyes Freundin Olivia, die dem Matrosen immer dann den Spinat reicht, wenn er es braucht. Im modernen Märchen nimmt sich die Frau den Spinat einfach selbst, wenn sie stark sein möchte. So wie die Frauen des DFB bei dieser EM.

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