: Geschichte eines Außenseiters
Otto Schily gehört zu den schillerndsten Politikern in Berlin. Ein netter Biograf schreibt über die Widersprüche in dessen Karriere, ohne sie zu erklären
Fast wäre dieses Buch dort gelandet, wo es hingehört: auf den Flohmarkt oder in ein modernes Antiquariat. Schwülstig geschrieben, nichts Neues erzählt und der Protagonist kurz vor dem Ende seiner Karriere – wer will das schon lesen? Doch der Autor Reinhold Michels hat Glück. Das Verfallsdatum seines Schwindel erregend seichten Werks wurde verlängert: Otto Schily (fast 69, SPD) macht weiter. „Wenn das Volk es will“, möchte der Innenminister nach der nächsten Wahl sogar einen Rekord aufstellen: Ältestes Kabinettsmitglied seit Adenauer. Das weckt neues Interesse. Warum macht Schily weiter? Weil der Kanzler ihn braucht. Weil Schily auch Leuten gefällt, denen die SPD eigentlich zu links ist. Leuten wie Reinhold Michels. Um das zu verstehen, lohnt es sich doch, sein Buch zu lesen.
Michels schreibt „Friedensbewegung“ in Anführungszeichen und hält deren ehemaliges Mitglied Otto Schily für einen „Volksvertreter von Rang“, dem viel daran liegt, „vor dem Forum der Nation für ein persönlich-politisches Anliegen Gehör zu finden“.
Nun gut, auch Michels weiß, dass es manche nicht immer verstehen, wenn sich Schily aufführt wie ein Sheriff im Wilden Westen, wenn er den Europarat beleidigt oder im Streit um die Stasiakten ein Ultimatum stellt bis „zwölf Uhr mittags“. Manche mögen auch über die markigen Sprüche des Innenministers den Kopf schütteln. Aber, da ist sich Michels sicher: „Bei Schily tun dies allein seine früheren Freunde von der marxistischen Front.“
Einen netteren Biografen als Michels konnte Schily kaum finden. Für den Redakteur der Rheinischen Post ist der Innenminister ein „Wertkonservativer“, der nach einigen Irrungen und Wirrungen „auf die Mittelspur zurückgefunden hat“. Michels beschreibt Schily als zwischenzeitlich verloren geglaubten „Musensohn“, der jetzt wieder da angekommen ist, wo er herkommt und wo er hingehört: „Bei Schily ist deutlich Altersmilde spürbar, er ist als bald Siebzigjähriger zur bürgerlichen Mitte seiner jungen Jahre zurückgekehrt.“ Was ihn da zunächst weggetrieben hat und ob Schilys Seele durch die vielen Brüche Schaden genommen haben könnte, bleibt unklar. Michels erwähnt zwar die grundlegenden Zweifel Schilys nach dem Tod seiner RAF-Mandantin Gudrun Ensslin in Stammheim („War einem solchen Staat nicht alles zuzutrauen?“), er fragt aber nicht nach, ob ihm diese Erfahrungen immer noch nachgehen. Dabei könnte es ja immerhin sein, dass Schily vor allem sich selbst überzeugen will, wenn er heute als Hardliner mit Polizeihelm auftritt.
Interessant wäre es gewesen, wie der Mensch Otto Schily damit zurechtkommt, dass er immer ein Außenseiter war. Erst als RAF-Anwalt, grüner Schlipsträger und Sitzblockierer in Mutlangen – ein Feindbild der Rechten. Und jetzt als SPD-Innenminister, Festredner beim Jubiläum der Bereitschaftspolizei, Sprücheklopfer für Law and Order – ein Feindbild der Linken.
Michels beschreibt diesen „Werdegang mit Brüchen“ ausführlich, aber erklärt ihn nicht. Für ihn ist wichtig, dass der frühere RAF-Anwalt „durch die Erfahrungen in jenem aufwühlenden Jahrzehnt erst recht zu einem Verfechter von Recht, Gesetz und öffentlicher Ordnung“ wurde. Dass er wieder auf der richtigen Seite steht.
Stolz berichtet Michels von der Audienz im Innenministerium: „Als Gast fühlt man sich gut aufgehoben.“ Als Gegenleistung für die vielen freundlichen Worte bekam Michels ein paar hübsche Privatfotos und einige nette Anekdoten aus Schilys Jugend. Aber wirklich an sich herangelassen hat Schily auch Michels nicht. Sonst hätte er seinen Biografen wohl vorgewarnt, dass sich an seinen Karriereplänen noch etwas ändern könnte. Michels aber war felsenfest überzeugt: „Beim Ausscheiden wird Schily 70 Jahre alt sein.“
Michels wird auch für diese unerwartete Wendung eine Erklärung finden, die Schily im besten Licht erscheinen lässt. Auch wenn er noch ein Kapitel hinzufügt, wird seine Biografie ein Bericht vom Hofe Schilys bleiben. Seine oberflächliche, konservative Analyse mag für Schily-Kritiker unbefriedigend sein. Sie macht aber verständlich, warum Schily in all den Debatten dieses Jahres um die linke Vergangenheit einiger Minister keine Rolle spielte. Im Gegensatz zu Joschka Fischer und Jürgen Trittin haben die Konservativen Schily verziehen. Sie betrachten ihn wieder als einen der Ihren, obwohl er einen Großteil seines Lebens auf der anderen Seite verbracht hat. Alles Schnee von gestern. „Schily sympathisierte damals mit der radikalen Linken“, schreibt Michels, „aber es war eine geistige Sympathie.“ Mit Steinen hat er ja nie geworfen, und die „antibürgerlichen Attitüden“ seiner früheren Weggefährten habe er sich nie zu Eigen gemacht. Im Grunde, so Michels’ gewagte These, wurde er von den linken Spinnern nur ausgenutzt: „Man bediente sich seines exakt arbeitenden Juristenhirns.“
Michels Schily-Biografie ist eine Verteidigungsschrift gegen konservative Ankläger, die es gar nicht mehr gibt. Als CSU-Chef Edmund Stoiber kürzlich über die Bundesregierung sprach, zog er über alle Minister her. Nur einen, den hob Stoiber lobend hervor: Otto Schily. LUKAS WALLRAFF
Reinhold Michels: „Otto Schily. EineBiographie“. 237 Seiten, DVA, Stuttgart 2001, 39,80 DM (20,35 €)
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