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Intimes auf dem Silikonaltar

Das Modell der Berliner Künstlerinnenförderung „Goldrausch“ soll zum Vorzeigeprojekt werden. Zurzeit stellt sich eine Auswahl der Künstlerinnen aus den vergangenen elf Jahren im Badischen Kunstverein Karlsruhe vor

Bei einer Schuldenlast von 70 Milliarden Mark und einer permanenten Haushaltskrise wird in Berlin wieder einmal der Rotstift neu erfunden. Dass dieser trotz freundlich engagierter Worte des Zwischenregenten Wowereit hauptsächlich im kulturellen Bereich ansetzen wird, überrascht nicht, hat sich dieses Prinzip doch überall ökonomisch bewährt. Nicht bloß in der Hauptstadt. In nahezu mechanischer Manier werden, dem Fermat’schen Prinzip des geringsten Widerstandes folgend, diejenigen von den anstehenden Kürzungen am stärksten betroffen sein, die außerhalb Berlins die wenigsten kennen und die daher öffentlichkeitsunwirksam, mithin entbehrlich scheinen. Mit anderen Worten: Die kulturellen Fischkutter werden entfernt, damit man ihre – nun aber funktionslos gewordenen – Leuchttürme besser sieht. Schließlich ist Berlin doch das Schaufenster Deutschlands.

Gerade dieser Automatismus der Sparpolitik könnte bundesweit aber der Kulturlandschaft nutzen. Denn das vor zwölf Jahren gegründete und noch auf Berlin beschränkte Künstlerinnenprojekt „Goldrausch“, dessen Existenz angesichts der desolaten Haushaltslage im Roten Rathaus bedroht ist, soll nun aus Bundesmitteln finanziert und entsprechend auch andernorts durchgeführt werden. Ein Antrag auf eine dreijährige Modellphase liegt jedenfalls dem Familien- und Frauenministerium vor. Künftig könnten dann auch Künstlerinnen aus anderen Bundesländern am kulturellen Goldrausch teilhaben.

Im Rahmen dieses Projektes erfahren die Künstlerinnen innerhalb eines Jahres, wie sie sich in der von Männern dominierten Kunstszene durchsetzen können. „Der Schritt vom Atelier zur Ausstellung oder von der Projektidee zur Realisierung erfordert eine Vielzahl kunstferner Fähigkeiten“, begründet die Projektleiterin Anne Marie Freyenbourg die Dringlichkeit von „Goldrausch“. Die Künstlerinnen erhalten während ihrer Projektteilnahme nicht nur Kenntnisse der Rechtslage, Finanzierung oder Public Relations, um ihre Werke der Öffentlichkeit zu vermitteln. In der dauerhaften Auseinandersetzung mit ihren Kolleginnen um künstlerische wie organisatorische Fragen erwerben sie auch soziale Kompetenzen. Da kann es schon einmal drei Wochen dauern, bis in der Gruppe der Titel für die alljährliche Schlussausstellung gefunden ist. Von „Abenteuer Glück“ bis hin zu „Intime Expeditionen“ machen letztendlich häufig Titel das Rennen, die auf den prozessualen Werkcharakter der künstlerischen Praxis hinweisen.

Unter dem Titel „Intime Expeditionen“ ist derzeit im Badischen Kunstverein Karlsruhe eine Sonderausstellung des Goldrauschprojektes zu sehen, die am 24. August ins Haus am Waldsee nach Berlin kommt. Sie zeigt eine Auswahl der 180 Künstlerinnen, die bisher am Projekt teilgenommen haben, und versucht zugleich ein Beispiel zu geben, wie das Schöne und Intime vor einer Vereinnahmung der Kunst durch die alltäglichen Praktiken in der Gesellschaft zu bewahren ist. Dabei reichen die Medien dieser Erfahrung von Fotografien über Dias bis hin zu Lautsprechern, auch Objektinstallationen und Silikonaltäre gehören dazu. Auf je eigene Weise wird dabei der Besucher sanft von der Intimität der Betrachtung eines Kunstwerkes über ihren intimen Inhalt zur Intimität einer Kunstausstellung an sich geführt.

Der Ortswechsel gehört mittlerweile zum Spiel: Schon im vergangenen Jahr war das Künstlerinnenprojekt aus Berlin auf Promotion-Tour nach Nürnberg, Düsseldorf und Lüneburg gegangen. Umgekehrt haben bereits eine Vielzahl an Künstlerinnen aus dem gesamten Bundesgebiet ihren Wohnsitz nach Berlin verlegt – nicht zuletzt, um am Goldrauschprojekt teilnehmen zu können. Bei aller Euphorie ist Freybourg realistisch: „Den goldenen Weg zum Ruhm sucht man bei uns vergebens.“ Stattdessen komme es auf die individuelle Feinplanung an, die sich nur im persönlichen Umgang mit den Künstlerinnen herauskristallisiere.

Dass dieses nachahmenswerte Projekt bundesweit Anklang finden dürfte, daran ist gar kein Zweifel. In Berlin kann eine unabhängige Jury derzeit jedes Jahr aus den 200 Bewerberinnen für eine Teilnahme an „Goldrausch“ 15 interessierte Künstlerinnen auswählen. Zuletzt wurde das Projekt im Mai während der in Münster stattfindenden Messe für Frauen im Kulturbetrieb „zur Nachahmung empfohlen“. Eine breite Nachfrage ist also vorhanden, weit breiter als das geschlechtsspezifische Angebot. Denn Sinn und Qualität dieses Projektes kann man nicht zuletzt auch an den neidvollen Blicken der männlichen Künstlerkollegen ablesen.

Eine Ausbreitung dieses Netzwerkes für Künstlerinnen über Berlin hinaus ist also mehr als sinnvoll. Nun kann Frauen- und Familienministerin Bergmann aufnehmen und weitergeben, was Berlin ungewollt losgetreten hat. MARC DRESSLER

Bis 7. 8., Badischer Kunstverein, Karlsruhe

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