: Nackte Tatsachen und rotrotrotes Blut
Im 3001-Kino: Eine Woche Spätschiene für den „Godfather of Gore“, Hershell Gordon Lewis ■ Von Tim Gallwitz
Gewiss, Hershell Gordon Lewis ist ein vielseitiger Mann. Einst Professor für Englische Literatur, später Erfinder des Gore, nun Guru des Direct Marketing. Auf letzteres Talent, das sich in über zwanzig Büchern (kürzlich Selling On The Net) niedergeschlagen hat, soll hier nicht weiter eingegangen werden, gilt es doch, vor allem Lewis Verdienste auf dem Gebiete des Splatterfilms zu würdigen.
Die ersten Meter Zelluloid, die Lewis dem Licht aussetzte, sahen freilich kein spritzendes Blut, sondern nackte Tatsachen. Auf Russ Meyers Spuren produzierte Lewis mit David Friedman zunächst Low-Budget-Nudies. Der Aufwand war denkbar knapp kalkuliert: sechs Stunden fürs Buch, drei Tage fürs Drehen und alles für knapp 7.500 Dollar. Die Entscheidung der beiden, The Adventures of Lucky Pierre (1961) in Cutie-Color zu drehen, ließ das Gros der übrigen Sexfilmchen alt aussehen und sorgte für immensen Erfolg in den US-Autokinos. Aus dieser Phase stammt auch Boin-n-g! (1963), ein trefflichst ausgewählter unernster Film-im-Film, mit dem Lewis und Friedman sich selbst, die Konkurrenz und die Sexploitation-Industrie komplett durch den Kakao zogen. Boin-n-g! war Lewis letzter Nudie-Streich, denn dem übersättigten Markt war kaum noch Profit abzugewinnen.
Etwas Neues musste her, und die Legende geht, dass Lewis beim Fernsehen die zündende Idee kam. Es lief ein Gangsterfilm, in dem ein Mobster von Kugeln durchsiebt wird. Lewis Kommentar: „That guy should be bleeding like a geyser...“ Blood Feast (1963), die Mutter aller Slasher-Streifen, preist denn auch unverhohlen an, worauf man sich gefasst machen oder freuen kann. Das Erfolgsrezept der Nudies unwesentlich modifiziert, steht nicht mehr der erotisierte, sondern der malträtierte Körper im Vordergrund – in Blood-Color, versteht sich.
Die Story um einen Delikatessenhändler, der am laufenden Filmmeter Frauen zerstückelt, um mit Hilfe diverser Körperteile die Göttin Ishtar wiederzubeleben, ist selbstverständlich hanebüchen. Die Montage ist dermaßen löchrig, dass ganze Sonnensysteme zwischen den Einstellungen Platz fänden. Und die Schauspieler agieren derart hölzern, als hätte das Set-Catering lediglich Sägespäne hergegeben. Kommt aber auch nicht drauf an, geht es doch vor allem ums Blut, das so klasse rot ist, wie der ganze Film prächtig bunt und voll von kruder Komik. Und wer will bei einem Zwei-Tage-Dreh mit 24.500 Dollar, der 4 Millionen einspielte, Anspruchspunkte anmahnen? Schließlich kommen seine filmischen Kinder aus der Elm Street und die Enkel der jüngsten Teenhorror-Welle auch nicht viel tiefsinniger daher.
Auf den Zug der Biker-Movies in den 60ern sprang Lewis mit den She-Devils On Wheels (1968) auf. Im Rahmen eines simplen gender role-reversal machen die „Man Eaters“ (Frauen der echten „Cut Throats-Gang“) eben all das, was Motorrad-Männer üblicherweise so tun – ohne aber dabei das maskuline Bedürfnis nach erotischem Schauwert zu vergessen. Auf solchem Gleis verausgaben sich auch die Gore Gore Girls (1972). In diesem völlig krassen Teil ist eine Art William Powell im Austin-Powers-Dress unterwegs, um den Schlächter von Stripperinnen zwischen durchgeknallten Vietnam-Veteranen und hysterischen Women's Lib-Aktivistinnen zu suchen. Nach diesem ultrabrutalen Finale ging Lewis in den wohlverdienten filmischen Vorruhestand. Doch sein Comeback dräut bereits am Horizont: Blood Feast II soll Ende des Jahres die USA heimsuchen ...
Blood Feast: heute + morgen; The Gore Gore Girls: Sa, 28.7. + So, 29.7.; Boin-n-g!: Mo, 30.7. + Di, 31.7.; She Devils On Wheels: Mi, 1.8., alle 22.30 Uhr, 3001
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