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„Ich mache kein Theater“

Der Theaterregisseur und Schriftsteller Einar Schleef ist tot. 57-jährig starb er bereits am 21. Juli an einem Herzleiden in Berlin. Ein Monolog aus seinem bisher unveröffentlichten Stück „Lange Nacht“

von EINAR SCHLEEF

MUTTER:

Als du geboren wurdest, war ich 35. Vater 36. Ich wollte kein Kind mehr nach den 7 Tagen Geburt an deinem Bruder. Ich soll mich nicht aussöhnen, mit wem, mit ihrer feinen Frau Mutter, niemals. Verbrecher, Strolch, Erpresser, schrie sie, ich hätte sie in der Luft zerrissen, dass sie das dir antut, aber da hatte ich keine Kraft mehr. Einfach kalitsch gemacht. Junge, ich bitte, denke an deine Mutter. Das geht nicht mehr aufwärts, nur abwärts, die paar Jahre. Ich werde mich für euch einsetzen, aber weiter bringe ich es nicht. Dass ich dich als Kind nicht wollte, wo der Krieg auf Hochtouren lief, kannst du nicht begreifen, was ich mit dir zu Hause durchgemacht habe. Du nur krank, vom Anfang an. Mein Bein wird nicht besser, seit 2 Jahren, du warst weg, peng lag ich auf der Fresse. Nicht wieder erholt. Siehst du mein Bein, dick bis zum Platzen. Egal, ob es wegen dir ist, ich denke an dich. Einmal reicht es mir. Die Axt liegt schon unter Vaters Kopfkissen, soll sich einer nur zu nahe wagen. Hat es geklingelt. Ja, der Postbote. Junge du hast aber keine Telefonnummer geschrieben. Schwarzaufweiß. Dein Bruder muss eine Entziehungskur machen. Vor allem schreib ihm nichts. Wir müssen das langsam vorbereiten. Ihr wollt ihn ins Krankenhaus stecken. Saubande. Was denkst du eigentlich, wer du bist. Er säuft, aber so nicht, die Ehe, da war das Weib schuld, mit dem Geld ihn reingelegt, der Bankchef ihr Betthäschen. Junge, das kann doch nicht wahr sein, du kannst nicht deinen Bruder öffentlich bloßstellen, was denken die Leute, da ist er prompt abserviert. Du weißt nicht, wie böse die Leute sind. Und jetzt kann ich nicht hin, würde dir aber den Marsch blasen. Warum mischst du dich ein. Du willst nur sein Bestes, soll seine Freundin, wenn sie mit ihm zusammenlebt, damit fertig werden. Jeden Abend in die Kneipe, warum ist die so dumm, lässt sichs bieten. 20 Jahre jünger, gibt’s keine Kerle genug. Wenn sie das will, muss sie die Suppe auslöffeln. Eine Entziehungskur, der Säufer. Und das mir, der Mutter, das ist ein Feiertag, dein 35. Geburtstag. 35 war ich, als du geboren wurdest. Ich stecke die Kerzen für dich an. Denkst du an mich. Meine Füße sind kalt, ich trinke einen Grog. Die Küche ist eiskalt. Paarmal ist das Klo eingefroren, mit Kerze und Wärmflasche aufgetaut. Hast du dich überhaupt rasiert. Junge, rasier dich. Für deine Mutter zu deinem Geburtstag. Wie sieht das aus. Das Bad ist nicht fertig, für wen, du bist nicht da, keiner, für mich, ich brauche es nicht mehr, die Kacheln liegen auf dem Balkon. Es wird nicht fertig, weil ich keine Kraft mehr habe. Ja wenn du hier wärst, aber du bist nicht mehr da, und dass du je wieder herkommst, daran glaube ich nicht. Ich kriege auch keinen Pass, warum muss ausgerechnet ich, ich, das büßen. Die am wenigsten dafür kann. Vielleicht ist das richtig so. [. . .] Ich bin keine Säuferin wie die hochfeine Frau Mutter, kippt schon am frühen Morgen, tagelang nicht aus dem Bett zu kriegen, das kann keiner von mir sagen, ich stehe meinen Mann. Wo’s drauf ankommt. Muss mich erst einmal hinlegen, also, da habt ihr euch endlich getroffen, bist schon 2 Jahre im Westen, du hast es ja nicht nötig, dich um deinen Bruder zu kümmern, wohnt auf einer kleinen Klitsche, natürlich verachtest du ihn, muss ja mit seiner Hände Arbeit sein Brot verdienen, dem wird nichts hinten reingeblasen. Ruhe. Du weißt, wie ich das meine. Jetzt läuft ihm noch das Kind weg. Das Jugendamt genehmigt, dass es bei einer Freundin wohnt, die Haschgöre. Wo gab’s das früher. Das Weihnachten, wo ich noch hin durfte, denkst du, ich war blind, wie ihr euch gehasst habt, du gibst es wenigstens zu, quäl dich nur damit, die beiden Söhne stinkeifersüchtig aufeinander. Ich spreche das aus, jeder mir heimlich in den Arsch gekrochen, das ist die Wahrheit. Schlimm genug. 2 Söhne, und keiner ist was geworden. Jetzt noch abhauen. Mich überredet niemand zu diesem Schritt, hier wird gestorben. Auf dem Sofa, wo Vati lag. Als Vater es wollte, da hast du Krach gemacht: Ich springe aus dem Zug. Hier ist meine Heimat. Der Zeichenzirkel schickt mich zum Studieren. Das hättest du auch im Westen machen können. Du studierst jetzt wieder, liegst erneut einem Staat auf der Tasche, bezahlen die, die arbeiten, eh und je. Ich mache kein Theater, auf den Beinen musst du stehen, richtig, trotzdem, du hast gebrüllt: Hier ist meine Zukunft! Was blieb dem Vater übrig, gedroschen hat er dich, aber feste, und ich hab die Bettwäsche abgezählt. Du Verbrecher. Der Vater. Abends saß ich an deinem Bett, warum hast ausgerechnet du den Vati nicht verstanden, weil er dich jeden Tag geschlagen hat, heute weißt du, man muss darüber hinwegsehen. Erst hat er dich fertig gemacht, du hast oben im Bett geschnarcht, da wurde ich unten runtergerasselt. Meine armen Knochen. Konnte nicht mehr. Jeden Tag saß er am Radio: Trude, es ist noch nicht zu spät, die Volkskammer wird einberufen, wir warten, die können Berlin nicht zumachen. Ich packte die Betten ein. Du bist mit Vater nach Siemensstadt zu seiner Bekannten gefahren, mit den Betten. Warum du mitmusstest, jetzt sage ich es dir, nie wäre es über meine Lippen gekommen, der Vati wollte, dass sie dich ins Zimmer einsperren und so lange behalten, bis wir da sind. Ja einsperren, anders war nicht mit dir fertig zu werden. Du kannst von deinen Eltern denken, was du willst. Ich hätte dich mit der Wäscheleine ans Bett gefesselt und dir die Schnauze zugeklebt bei Wasser und Brot. Will nicht, sieht, wie seine Eltern verzweifelt sind, rotzt ihnen mitten ins Gesicht: Hier ist meine Zukunft. Jetzt hast du sie. Wo bist du denn, ich bin hier, meine Zukunft, mein Ende. Schlag mir den Sargnagel in die Fresse. Hier ist meine Zukunft. Da kommen die Tränen. Vor Zorn. Zorn. Zukunft. Keine Kohle den Winter. Zukunft. Ich will wenigstens meine Kinder sehen, die Brut. Deine Tagebücher, die liegen alle auf meinem Nachttisch, habe mir Zettel eingelegt, noch ein Wort gegen deine Mutter. Schwarz auf weiß. Hier: Vater und ich nach Berlin. Zu Bekannten. Unterwegs hält der Zug. Polizei. Ausweis und Gepäckkontrolle auf freier Strecke. Personen unter 18 Jahren ohne Begleitung Erziehungsberechtigter verlassen den Zug. Vater wird kontrolliert, schluckt. Ist das Ihr Sohn. Wohin wollen Sie. Ihr Koffer. Die Nachbarin will schnell aufstehen, muss ihren Koffer öffnen. Gänse. Raus. Wieder ein Schwarzes Schaf erwischt. Sonst wäre Vater dran gewesen. Viele werden in Handschellen abgeführt, über den Acker, wo der Laster auf dem Feldweg wartet. Die Streife geht nochmal durch den Zug, sieht jedes Gesicht an. Der Zug fährt weiter. Vater schleppt die Koffer nach der Siedlung. Die Bekannten. Eine dicke, ältere Tochter, der Vater gehbehindert, Zucker. Ich muss im Nebenzimmer warten. Es stinkt, die Vorhänge sind gelb. Wenn du wolltest, konntest du fehlerfrei schreiben.

Mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift Theater der Zeit, die das Stück in ganzer Länge in ihrer Oktober-Ausgabe abdrucken wird

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