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Furcht und Stillstand

aus Ramallah YASSIN MUSHARBASH

Einer hat Kisten voller Möhren in seinem Kofferraum, ein anderer Gummischläuche, ein Dritter transportiert einen Kinderwagen. Der Kofferraum des rostigen Ford, der dann an der Reihe ist, lässt sich nicht öffnen. Entschuldigend deutet der Fahrer auf das kaputte Schloss. Das reicht nicht. Er muss in den Fond seines Wagens steigen und von innen öffnen. Drinnen liegen eine alte Decke und ein leerer Pappkarton.

Die beiden israelischen Soldaten, ein Blonder mit Nickelbrille und ein Drahtiger mit braunen Augen, inspizieren alles sehr sorgfältig. Innerhalb einer halben Stunde verursachen sie auf diese Weise einen Stau von zehn Kilometern Länge. Sie stehen mitten auf der Straße, knapp einen Kilometer vom nördlichen Ortseingang der autonomen palästinensischen Stadt Ramallah entfernt, und kontrollieren Autos.

Am Straßenrand parkt ein Panzerfahrzeug, das Kanonenrohr in den Nachmittagshimmel gereckt, auf dem Hügel dahinter steht ein Panzer. „Wir suchen nach Waffen“, erklärt der Blonde. Ein Palästinenser kann sich ein spöttisches Lachen nicht verkneifen: „Wieso, habt ihr nicht genug?“

Jede Fahrzeugkontrolle dauert etwa zwei Minuten: Erst muss der Fahrer seine Papiere vorlegen, dann den Kofferraum öffnen. Die beiden Soldaten bleiben immer dicht beisammen. Eines ihrer Gewehre ist auf den Fahrer gerichtet. Langsam gehen sie um das Fahrzeug herum. Wenn sie ihre Inspektion abgeschlossen haben, winken sie den Fahrer durch und bedeuten dem Nächsten in der Schlange, sich langsam zu nähern.

Das Dorf, in dem die Kontrolle stattfindet, heißt Surda. Im Gegensatz zum autonomen Ramallah sind in den meisten der umliegenden Dörfer die Israelis für die Sicherheit zuständig. Die Autonomiebehörde regelt hier nur zivile Angelegenheiten. Im Oslo-Abkommen von 1993 war dieses Arrangement als Übergangsregelung gedacht – bis Mai 1998 hätten Surda und Umgebung eigentlich autonom werden sollen. Bis heute ist nur knapp ein Drittel der palästinensischen Gebiete autonom, die anderen zwei Drittel noch immer besetzt.

Straßensperren sind alltäglich in den palästinensischen Gebieten. Surda allerdings ist ein Nadelöhr: Wenn hier die Verbindung nach Ramallah gekappt wird, sind 32 Dörfer von ihrem regionalen Zentrum abgekoppelt. Das bedeutet zum Beispiel, dass 65.000 Palästinenser keine Intensivstation aufsuchen und ein Drittel der 6.000 Studenten der nahe gelegenen Bir-Zeit-Universität ihren Campus nicht erreichen können.

Die Soldaten und der Panzer sind seit Mitte März in Surda stationiert. Zur Abschreckung palästinensischer Gewalttäter, erklärt die Armee. Nur um uns zu schikanieren, sagen die Palästinenser. Zunächst hatten israelische Bulldozer die Straße sogar auf einer Länge von einigen hundert Metern aufgerissen. Eine Woche lang waren die umliegenden Dörfer vollständig von Ramallah abgeschnitten. Selbst Lebensmittel kamen nicht durch. Schließlich, nach zwei Demonstrationen, in deren Verlauf ein Palästinenser in Surda erschossen wurde, einigten sich die Israelis und die Autonomiebehörde: Die Straße wurde repariert, der israelische Checkpoint blieb.

„Mach die Zigarette aus!“, befiehlt der lange, drahtige Soldat einem Palästinenser, der sich ihm zu Fuß nähert. „Aber ich habe sie gerade erst angesteckt“, sagt der. Wortlos entsichert der Soldat sein Gewehr, ebenso wortlos lässt der Palästinenser die Zigarette fallen und tritt sie aus. Er fragt, ob er zu Fuß passieren darf, und wird mürrisch durchgewunken. Andere Wartende sehen das und steigen aus den Taxis, in denen sie seit Stunden auf ihre Abfertigung warten: Womöglich warten ja die Taxis nach Ramallah schon hinter der nächsten Kurve, jenseits der Kontrolle, auf Kundschaft.

Die beiden Soldaten werden nervös, als sich ihnen immer mehr Palästinenser zu Fuß nähern. Sie fordern über Funk einen Jeep an. Jetzt sind sie zu viert. Einer kontrolliert die Fußgänger, die sich neben der Leitplanke aufreihen müssen. Mittlerweile ist es dunkel geworden. „Das geht doch nicht!“, beklagt sich ein Fußgänger bei dem Soldaten mit der Brille. „Guckt euch doch mal den Stau an. Der reicht bestimmt schon bis Nablus!“ An Stelle des Angesprochenen antwortet der Bebrillte auf Englisch: „Sei nicht böse. Ich mag auch nicht, was ich hier tue“.

Alle halbe Stunde versuchen palästinensische Fahrer, die noch im Stau warten, den israelischen Soldaten durch Hupen ihre Meinung kundzutun – ein ohrenbetäubender Lärm. Die Soldaten kontrollieren die Fahrzeuge und Fußgänger ungerührt weiter.

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