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Geisel einer korrupten Koalition

von VLADIMIR MILCIN

Mazedoniens Ministerpräsident Ljubco Georgievski hat sich vor kurzem zweifellos gewundert, weshalb die USA und die EU in der Mazedonien-Frage ihren Standpunkt so plötzlich änderten; sie wollten auf einmal tief greifende Änderungen der Verfassungsordnung zugunsten der größten ethnischen Minderheit, der Albaner, durchsetzen. Dabei hatten sie noch bis vor fünf Monaten Mazedonien zum Musterbeispiel für Stabilität und erfolgreich geregelte ethnische Beziehungen erklärt.

Die Mehrheit der mazedonischen Bürger wundert sich ebenfalls. Mehr als zwei Jahre hat der Westen die Koalition der Partei von Premierminister Georgievski und der Demokratischen Partei der Albaner von Arben Xhaferi vorbehaltlos unterstützt. Und dies obwohl die Regierungsparteien, kaum waren sie im Herbst 1998 an die Macht gekommen, begonnen hatten, das Land auszuplündern und zu spalten. „Wir haben die ethnischen Beziehungen entspannt“, brüsteten sich Georgievski und Xhaferi. Dafür ernteten sie den Beifall der westlichen Politiker und Diplomaten, für die nur die Stabilität Mazedoniens wichtig war und die ihre Augen vor den Wahlfälschungen 1999 und 2000 verschlossen.

Diese Wahlen gewannen die Regierenden dank ihrer bewaffneten Helfer, die sich durch Einschüchterungen, Prügeleien und Morde hervortaten. Dabei schossen Mazedonier auf Mazedonier und Albaner auf Albaner. Blind und taub stellten sich die westlichen Diplomaten und Politiker auch in Bezug auf den Druck, der auf die Medien, auf Geschäftsleute und Banker ausgeübt wurde. Sie wollten die illegalen Privatisierungen, die undurchsichtigen öffentlichen Ausschreibungen, den wachsenden Reichtum der Parteiseilschaften der regierenden Parteien aus dem illegalen Handel mit Drogen, Zigaretten, Waffen, Frauen und Kindern weder sehen noch davon hören. Statt die Armut der Bevölkerung zu bekämpfen, füllten Georgievski und Xhaferi die eigenen Taschen und die ihrer jeweiligen Parteicliquen. Anstatt Mazedonien zu reformieren, kriminalisierten sie das Land und unterwarfen es ihren Parteien.

Teile des mazedonischen Territoriums wurden der Kosovo-Befreiungsarmee (UÇK) und deren Ablegern, der in Südserbien aktiven UÇPMB und der UÇK in Mazedonien überlassen: für illegale Geschäfte, aber auch zur Lagerung von Waffen und Munition, zur Ausbildung der Kämpfer. Ganze Dörfer in den Grenzregionen wurden zu Festungen ausgebaut. Seit mehr als einem Jahr hatten Nachrichtendienstler, unabhängige Journalisten und Intellektuelle vor dem Ausbruch einer „Frühlingsoffensive 2000“ gewarnt. Die Warnungen wurden in den Wind geschlagen und die Mahner als „Anhänger von Milošević“ gebrandmarkt.

Die große Mehrheit der Mazedonier war nicht überrascht, als es im Februar diesen Jahres beim Dorf Tanusevci zum ersten Anschlag kam. Der Sturz von Milošević im Oktober 2000 hatte die Ereignisse beschleunigt. Die neue Regierung in Belgrad erhielt die Unterstützung des Westens, die jugoslawisch-mazedonische Grenze wurde endlich verbindlich festgelegt, die jugoslawische Armee durfte in die Sicherheitszonen vorrücken, und die Unabhängigkeit des Kosovo wurde weniger wahrscheinlich.

„Das goldene Dreieck des Balkans“, kontrolliert von der Albanermafia über die Kosovo-Befreiungsarmee und die UÇPMB, deren militärische Aktivitäten zum größten Teil mit dem schmutzigen Geld der Mafia finanziert werden, geriet in Gefahr. Die Mafia kann ohne ein Gebiet, das sich jenseits der Kontrolle des Staates befindet, nicht funktionieren. Die mazedonischen Albaner in der Leitung der Volksbewegung des Kosovo und der kosovarischen UÇK wollten sich mit dem Ende des Krieges nicht zufrieden geben und riefen die Nationale Befreiungsarmee (UÇK) ins Leben. Mazedonien wurde zur Geisel der erfolglosen Kosovo-Intervention, bei der die KFOR nicht imstande oder nicht willens war, die dortige UÇK zu entwaffnen und die ethnische Säuberung gegenüber den nichtalbanischstämmigen Minderheiten zu verhindern.

Das Land wurde aber auch zur Geisel der eigenen korrupten slawisch-albanischen Regierung, deren Rückhalt bei den Wählern drastisch gesunken ist. Die Veröffentlichung von Beweisen, dass die Regierung das Abhören von etwa hundert Politikern, Journalisten und Intellektuellen organisiert hatte, brachte die schlimmste der zahlreichen Regierungsaffären ins Rollen. Jetzt mussten sich Georgievski und Xhaferi etwas einfallen lassen, um die Aufmerksamkeit der erzürnten Öffentlichkeit abzulenken. Als in einem Dorf unweit von Tetovo ein Angriff auf die örtliche Polizeistation stattfand, bei dem ein Polizist ums Leben kam, übernahm die mazedonische UÇK dafür die Verantwortung. Einem Fernsehteam gelang es gleich danach „herauszufinden“, dass die Gegend unter der Kontrolle der UÇK stand, so dass dem Ereignis der Anschein eines rein ethnischen Konflikts verpasst werden konnte. Nunmehr konnten die Politiker als „Kämpfer für die Rechte der Albaner“ beziehungsweise als „Retter der bedrohten Mazedonier“ auftreten.

Es waren aber nicht die Rechte der mazedonischen Albaner, die zu Beginn des Jahres 2001 bedroht waren. Bedroht war vielmehr die Macht von Ljubco Georgievski und Arben Xhaferi. Erst mit Verspätung begriffen die Mazedonier die wahre Bedeutung der Wahlversprechen Georgievskis von 1998: „Wir werden alles, was die vorherigen Machthaber geschaffen haben, zerstören!“ Sie erinnerten sich auch der nie dementierten Äußerung von Dosta Dimovska, der damals mächtigen Innenministerin, sie habe kein Interesse an allem, was westlich der Straße von Skopje nach Tetovo liegt. Die Mazedonier mussten auch an den Zweiten Weltkrieg denken, als Westmazedonien auf Mussolinis Geheiß den albanischen Faschisten überlassen worden war. Jetzt begriffen sie auch, wieso die beiden extremen Nationalisten Georgievski und Xhaferi eine Koalitionsregierung bilden konnten. Unlängst hat Xhaferi in einem Interview erklärt, er habe auf der Grundlage der politischen Philosophie der Georgievski-Partei, die diese zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte, in die Koalition eingewilligt. Damals habe sich diese für ein Mazedonien als Schweiz des Balkans eingesetzt, eine These, die von Iwan Mihajlow, einem Mitarbeiter der Geheimdienste von Mussolini und Hitler, vertreten worden sei. Mihajlow habe behauptet, es gäbe keine Mazedonier, sie seien eigentlich Bulgaren, und er sei bereit gewesen, Mazedonien aufzuteilen.

Für Xhaferi sind die Mazedonier „mazedonische Slawen“, als wären sie ein Volksstamm und nicht ein Volk mit Nationalgefühl, mit eigener Sprache und Kultur. Das beleidigt die Mazedonier. Was ihnen aber Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass auch die Führung der USA und der EU diese Terminologie benutzt. Die EU hat trotz der Empfehlung der Kommission von Robert Badinter die Republik Mazedonien nicht anerkannt. Stattdessen wurde Mazedonien unter der beleidigenden und sinnlosen Abkürzung FYROM (Frühere jugoslawische Republik Mazedonien) in die UNO aufgenommen. Die Existenz einer mazedonischen Nation wird in Frage gestellt. Die Mazedonier denken, sie würden ständig bestraft statt belohnt.

Der mazedonische Weg in die Unabhängigkeit vollzog sich friedlich. Mazedonien nahm 100.000 Flüchtlinge aus Bosnien und mehr als 350.000 aus dem Kosovo auf. Es stellte ohne Entschädigung sein Territorium und seine Infrastruktur für den logistischen Bedarf der Nato während der Kosovo-Intervention zur Verfügung. Warum müssen wir ständig Opfer der Doppelstandards des Westens sein, fragen sich die Mazedonier.

Viele in Mazedonien glauben, dass Georgievski und Xhaferi eigentlich auf eine Aufteilung Mazedoniens hinarbeiten: der eine über die Gewaltanwendung der UÇK gegen die zivilen Nichtalbaner und der andere über den Machtmissbrauch seines Innenministers Ljube Boskovski: Sie führen unter den Augen der USA, der Nato und der EU eine unauffällige ethnische Säuberung durch.

Mazedonien war die letzte multiethnische Insel auf dem Balkan, allem Anschein nach hat sie in den Augen des Westens an Wert verloren. Mazedonien wird höchstwahrscheinlich ein Zweinationenstaat unter internationalem Protektorat. Dies wird die nächste Etappe sein in der provisorischen Existenz eines Einheitsstaates, in dem die Mazedonier alle Menschenrechte genießen konnten. Die bewaffneten Extremisten der UÇK nutzen die Waffenruhe, um die mazedonischen Dörfer und Stadtteile von Tetovo leer zu räumen. Sie berauben Zivilisten, kidnappen und misshandeln sie, zerstören die Häuser von Albanern, die sich ihnen widersetzen. Die Mazedonier stellen sich die Frage, wer eigentlich gegen sie kämpft. Ist es die UÇK mitsamt der Albanermafia, ist es der islamische Fundamentalismus, ist es das Kosovo-Schutzkorps mit Unmik, Nato und USA? Oder alle zusammen?

Die UÇK ist mit modernsten Waffen ausgerüstet und von westlichen Geheimdiensten ausgebildet. In ihren Reihen kämpfen sowohl Mudschaheddin als auch Söldner aus Nato-Staaten. Die finanzielle Unterstützung durch die Albanermafia übertrifft um ein Vielfaches das finanzielle Potenzial Mazedoniens, das durch die Kriegsprofiteure der Koalition Georgievski-Xhaferi zusätzlich aufgebraucht wurde.

Die Mazedonier haben schon vor langer Zeit ihr Vertrauen in Russland verloren. Nunmehr haben sie auch aufgehört, dem Westen zu trauen.

Übersetzung: Milen Radev

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