REICH-RANICKI GIBT DER JUNGEN LITERATUR EINE CHANCE: ER TRITT AB: Keine Fragen offen
Nun wird es also ein bisschen ruhiger um die Bücher werden. Marcel Reich-Ranicki, der große Zampano, hört auf, und zugleich wird Ende des Jahres das ganze „Literarische Quartett“ eingestellt. Eine Sendung, die wenig Freunde, aber viele klammheimliche Seher und immense Aufmerksamkeitspotenziale hatte, geht damit ihrem Ende zu. Müssen sich die Verlage eben eine andere Quelle für ihre Werbetextchen suchen. Könnte man denken und es dabei bewenden lassen.
Allerdings versteckt sich in der Nachricht noch eine zweite, und die ist interessanter: Das ZDF traut niemand anderem als Reich-Ranicki zu, fernsehtauglich Literatur zu vermitteln. Eine hohe Ehre für diesen Kritiker, dem Eitelkeiten ja nicht ganz fremd sind. Aber im Grunde genommen ist das, ehrlich, ein kleiner Skandal.
Als das „Literarische Quartett“ gegründet wurde, lange ist’s her, fing landauf, landab das kulturkritische Lamentieren an. Die Sendung betreibe einen Ausverkauf der Literatur zugunsten des reinen Showwertes. Ein einzelner Kritiker – die Teilnehmer neben Reich-Ranicki wurden nur als Staffage begriffen – bekomme viel zu viel Macht im Literaturbetrieb. So lauteten die mit Verve vorgebrachten Vorwürfe. Im Grunde genommen treffen sie erst heute, in der Abwicklungsphase, zu: Es war eben doch der Showman, den das ZDF wollte.
Mit dem Ausscheiden unseres lautesten Kritikers war die Chance da, Bücher im Fernsehen vielleicht ein wenig leiser, aber vielleicht ja auch ein bisschen hintergründiger oder sogar intelligenter zu behandeln. Denn natürlich – und das plaudern wir jetzt mal ganz exklusiv aus – leben im deutschsprachigen Raum noch andere Literaturkritiker als Marcel Reich-Ranicki. Muss man wirklich darauf hinweisen, dass hierzulande eine breite, differenzierte und kluge Literaturkritik existiert? Doch, doch, das gibt es, und manche Kritiker sollen sogar ein ganz klein wenig mehr als Reich-Ranicki von den aktuellen Tendenzen zumindest in der jüngeren Literatur verstehen.
Aber nun ist die Chance vertan. Der Vorhang zu und keine Fragen offen. DIRK KNIPPHALS
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