: Die Symbiose Mensch/Maschine
Anlässlich der Ausstellung „Manga – Die Welt der japanischen Comics“ zeigt das Arsenal eine Reihe mit japanischen Anime-Filmen. Ihr deutlicher Bezug auf aktuelle Diskussionen und Zeitprobleme charakterisiert die populären Zeichentrickfilme
von DANIEL FERSCH
Vor sechs Jahren forderte der von der Aum-Sekte verübte Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn zwölf Menschenleben und fünftausend Verletzte. Auf der Suche nach den Motiven für diese Katastrophe schien die Tageszeitung Asahi Shimbun einen Grund schnell gefunden zu haben: „Der Sektenkult von Aum setzt sich aus den unterschiedlichsten Variationen einer [. . .] Jugendkultur aus den Siebziger- und Achtzigerjahren zusammen. Hier begegnen sich Mystizismus und Wissenschaft und führen den Menschen in einen Mix aus Sciencefiction und Wirklichkeit.“ Gemeint sind damit die in allen japanischen Gesellschaftschichten weit verbreiteten Mangas (Comics) und die Animes genannten Zeichentrickfilme.
Eine Schlussfolgerung, die nahe liegend scheint, nannte doch auch die Mitgliederzeitung der Aum die Inspiration für ihre Weltsicht beim Namen: „Unsere Comic-Autoren drücken das Interesse an der Zukunft der Menschheit aus und sind die wahren Propheten des modernen Zeitalters.“ Diesen Stimmen zu Folge imitiert das Leben die Kunst, ein Muster nach dem auch in der westlichen Hemisphäre gerne die Entstehung von Gewalttaten erklärt wird.
Eine Filmreihe, die von Juli bis September die Ausstellung „Manga – Die Welt der japanischen Comics“ begleitet, beweist jedoch das Gegenteil: Die Kunst ist nur der Spiegel der Realität. Denn trotz aller eskapistischen Tendenzen und Katastrophenszenarien zeigen die ausgewählten Animes viel von der Wirklichkeit der gegenwärtigen japanischen Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die den Spagat zwischen archaischen Strukturen, Kapitalismus und Demokratie versucht. Und die durch den Zusammenbruch des Bankensystems, korrupte Politiker und fehlende soziale Absicherung in den letzten Jahren in eine schwere Krise geschlittert ist.
Schon die zur Eröffnung Anfang Juli gezeigte Satire „Roujin Z“ (Projekt Z, 1991), die nach einem Drehbuch von „Akira“-Schöpfer Katsuhiro Otomo entstand, hat einen deutlichen Bezug auf aktuelle Diskussionen. Im Mittelpunkt steht ein 87-jähriger Rentner, der als Versuchskaninchen in ein Z-001 getauftes, vollautomatisches Pflegebett gesteckt wird, welches die ultimative Lösung des Pflegenotstands verspricht. Lässt der Beginn noch eine harmlose Komödie vermuten, so nimmt die Handlung nach und nach immer bizarrere Wendungen.
Gar nicht zum Lachen ist „Patlabor 2“ (1991) von Mamoru Oshii. Die namengebenden Labors, riesige, von Menschen gesteuerte Arbeits- und Kampfroboter spielen jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr stehen in dem pathetischen Politthriller konkurrierende Einheiten von Armee und Polizei im Mittelpunkt, die das Land nach einem verheerenden Terroranschlag an den Rand eines Bürgerkriegs bringen. Im Subtext werden ausserdem die Überbevölkerung und der drohende Zusammenbruch des Verkehrssystems thematisiert. Dabei wird langen Dialogen, die den Sinn und Unsinn von kriegerischen Auseinandersetzungen diskutieren, viel Platz eingeräumt, knallige Actionszenen finden sich nur wenige.
Auch „Perfect Blue“ (1997) von Satoshi Kon setzt weniger auf vordergründiges Spektakel als vielmehr auf einen subtilen Spannungsaufbau. Hauptfigur Mima Kirigoe, Leadsängerin der Girlgroup „Cham“, wird von ihrem Manager dazu gedrängt, die Popkarriere an den Nagel zu hängen und sich als Schauspielerin zu versuchen. Ein fanatischer Fan (die japanische Bezeichnung dafür ist „Otaku“) hält Mima deswegen für eine „Verräterin“ und beginnt sie zu verfolgen. Die bevormundete Künstlerin und der Fan, beide sind Opfer einer zynischen Unterhaltungsindustrie.
Hervorragend gezeichnet und mit jeder Menge Computeranimationen angereichert, präsentiert sich „Ghost in the Shell“ (1995) von Mamoru Oshii. Der Film, der weltweit als einer der erfolgreichsten Anime gilt, steht in der Tradition von Cyberspace-Epen wie „Blade Runner“. Es geht um die Symbiose von Mensch und Maschine und um Cyborgs, die Identitätsprobleme haben. Ein typischer Satz aus dem Lehrstück um Ethik, Kybernetik und Neurochirurgie lautet: „Weder Wissenschaft noch Philosophie können erklären, was Leben ist.“
Ob sie nun schwer wiegende philosophische Probleme wälzen oder aber nur von den kleinen Problemen am Rande der Massengesellschaft erzählen, die gezeigten Animes sind mehr als nur knallige Actionspektakel. Als Alibi für Ereignisse wie den Aum-Anschlag taugen sie jedoch nicht.
„Patlabor 2“: 17. 8. und 18. 8., 21 Uhr. „Ghost in the Shell“: 31. 8. und 1. 9., 21 Uhr. „Perfect Blue“: 7. 9. und 8. 9., 21 Uhr. Jeweils im Kino Arsenal, Filmhaus am Potsdamer Platz, Potsdamer Str., Tiergarten
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