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Schnell oder glaubwürdig?

Jede gute Auslandsreportage erspart einen Fernsehspot gegen Fremdenfeindlichkeit. Denn sie macht das Andere verständlicher. Gerade ARD und ZDF sind dazu verpflichtet

Objektiv heißt nicht neutral. Und fair nicht, ein Gleichgewicht von Opfer und Täter anzunehmen

Noch nie war die Reiselust der Deutschen so groß wie heute. Noch nie waren sie wirtschaftlich und politisch so verflochten mit dem Ausland. Und noch nie traten sie so kraftvoll auf wie im zusammenwachsenden Europa. Das heißt auch: Noch nie waren die Deutschen so abhängig vom Verstehen des Weltgeschehens. Und noch nie war ihre Distanz zum Fremden so deutlich.

Die Wiedervereinigung hat den Blick nach innen gewendet. Seit zehn Jahren etwa lebe ich im Ausland, und zunehmend beobachte ich bei meinen Deutschlandbesuchen, dass anderen ihr Anderssein übel genommen wird. Das ist die psychologische Wurzel von Fremdenfeindlichkeit. Und wir Medienmenschen spielen bei diesem Prozess mit. Denn je weniger wir das Andere zeigen, umso leichter machen wir es den Fremdenfeinden. Wenn dann wirklich oder angeblich die nationalen Interessen bedroht sind, fürchte ich, werden die Bürger mit Emotionen und Klischees reagieren, nicht auf der Basis von Wissen.

Unsere Nachrichten spiegeln angeblich die Weltlage wider. In Wirklichkeit berichten wir vorwiegend aus regionaler und nationaler Perspektive. „Aus fernsehen wird nahsehen“, hat dies Bernd Gäbler genannt. So begeben wir uns allmählich auf den gleichen Pfad wie die von uns wegen ihres Provinzialismus belächelten US-Amerikaner.

Den Bedeutungsverlust der Auslandsberichterstattung sehe ich auch jenseits der Grenzen. In der BBC, klagen Kollegen, schreitet das „dumbing down“, der Anspruchsverlust in den internationalen Nachrichten, voran. Und auch das französische Fernsehen ist am liebsten mit Frankreichs Prominenten und Frankreichs Provinz beschäftigt. Ganze Erdteile kommen in der aktuellen Berichterstattung nicht oder selten vor. Die Einschaltquoten von Magazinen wie „Weltspiegel“ oder „Auslandsjournal“ sind in den letzten Jahren stabil auf niedrigem Niveau, Hintergrundberichte drücken sich schamhaft zur späten Nachtzeit in den dritten Programmen herum oder finden Asyl bei Arte, Phoenix und 3sat. Sie gehören nicht mehr zum Mainstream.

Und was bringt der Mainstream auf den Bildschirm?

Da ist das Ausland unserer Politiker, Experten, Helfer und Prominenten, mit ankommenden Limousinen und Händeschütteln vor laufender Kamera. Dieses Ausland ist nicht notwendig, es dient als Fototapete.

Dann haben wir „Ausland light“ – kalorienverminderte Nachrichtenbrause: Wir lernen die irrsten Typen in den letzten Winkeln kennen, den Internet-Jungmillionär in der Mongolei, und sind danach informierter, aber nicht unbedingt klüger.

Dann existiert noch das Ausland mit den vier Ks: mit Kriegen, Katastrophen, Krisen und Krankheiten. Darüber berichten wir in der Regel, um der Einschaltquote willen, möglichst dramatisch. Das heißt: visuelle Effekte – wir konzentrieren uns auf Zeichen und Symbole, die die allgemeinen Vorstellungen unserer Zuschauer bekräftigen. Selten geben wir Kontext und Ursachen wieder, obwohl in allen Sonntagsreden eingeräumt wird: Schwierige Themen müssen langfristig angelegt werden.

Grundsätzlich fehlt das Nachhaken: Wie ist die Lage einen Monat, ein Jahr später? Und grundsätzlich fehlt der Alltag: Wann werden wir Ausländer erleben, die weder Opfer noch Täter sind? Warum sollen Zuschauer das nicht honorieren – gutes Handwerk, sensibles Fragen, Begegnungen auf Augenhöhe?

Ausland als Entdeckung – das muss uns weder „relaxen“ noch belehren, sondern nur andere Wahrheiten zeigen, damit unser Verstand und Herz reicher werden. Dass dies auch Quote bringt, haben einige große Reportagen bewiesen. Aber solche Filme sind selten, zu oft sind sie an prominente Namen wie Ruge, Bednarz, Pleitgen gebunden und an Oster-, Weihnachts- und Sommersonderprogramme.

Man muss schon stur sein, um sich von den Quotenpredigern nicht einschüchtern zu lassen. Denn wer will schon muffig und ältlich wirken? Wir bekommen Komplexe eingeredet, wenn wir über Werte und Ansprüche sprechen, als seien das peinliche Alterskrankheiten.

Unsere Werte lahmen, dafür rennt die Technik davon. Satelliten, Internet, mobile Übertragungseinheiten: Schnelligkeit ist der Maßstab aller Dinge für uns Praktiker geworden. Und draußen, „im Feld“, dominiert der Geschwindigkeitsfetischismus. Da taucht vor allem bei Krisen eine Internationale von Sofort-Experten auf, die ein Team und ein Flugzeug nehmen, einen Haufen Agenturmeldungen durchlesen und bei Ankunft am Ziel schon den ersten Live-Bericht wagen. Die gut informierten Kreise, die dann zitiert werden, sind meistens Taxifahrer oder Kellner. Selbstgedrehtes und Selbstrecherchiertes ist allenfalls noch bei der seltenen Hintergrundgeschichte willkommen.

Schnell oder glaubwürdig – welch eine Wahl. Aber gerade die Berichterstattung über Krieg und Frieden in der Welt steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit des Reporters. Marcel Ophuls, der Dokumentarist, hat einmal gesagt, dass Kriegskorrespondenten die „Widerstandskämpfer von heute“ seien. Ich stimme vorsichtig zu: Es gibt keinen anständigeren Platz als den des Störenfrieds, der im Widerspruch steht zu Regierungen, Militärs und organisierten Gruppen, die den Krieg in ihrem Sinne interpretiert sehen wollen.

Wir bekommen Komplexe, wenn wir über Anspruch sprechen, als wäre es eine peinliche Alterskrankheit

Heißt das, die gebotene Objektivität zu verlieren? Absolut nicht, es ist meiner Meinung nach „objektiv“ geboten, sich zwischen Menschlichkeit und Unmenschlichkeit zu entscheiden. Objektiv heißt nicht neutral. Und fair heißt nicht, von einem Gleichgewicht zwischen Opfer und Aggressoren auszugehen. Wir können dazu beitragen, die Konsumenten unserer Nachrichten kompetenter und kritischer zu machen, ihnen beibringen, Nachrichten in Kriegszeiten zu misstrauen. Es ist paradox: Die Geschwindigkeit setzt uns unter einen unvorstellbaren Druck, gleichzeitig könnten wir gerade deswegen Menschenrechtsverletzungen anprangern oder bei Katastrophen die Hilfsmaschinerie schneller anwerfen.

Wer sich gegen „Ausland light“ und Knallbumm-Berichte wehrt, bekommt oft vorgehalten, er oder sie habe einen überentwickelten erhobenen Zeigefinger. Aber gerade wir gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen sind privilegiert. Wir können ein gutes, aufklärerisches Auslandsprogramm machen. Verständlich, anregend, auch mal polarisierend und experimentell. Für viele, es dürfen aber auch wenige sein.

Es heißt, Quotendenken steuert elitären Fehlentwicklungen entgegen. Es heißt, Korrespondenten sollen nicht Filme für Korrespondenten machen. Aber ich deute die Quote weniger als Qualitätsmerkmal, sondern als Fußfessel. Sie hat weniger mit Demokratie zu tun und mehr mit Unsicherheit. Wer bei Auslandsthemen nur auf Quote schielt, hat Angst vor Ansprüchen. Meine Idealvorstellung vom Journalisten: Er – oder sie – ist ein Detektiv, ein Zeuge, ein Humanist. Meiner Meinung nach erspart jede gute Auslandsreportage einen Fernsehspot gegen Ausländerfeindlichkeit.

SONIA MIKICH

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