: Entzauberte Müllwunderwaffe
In Karlsruhe ist die umstrittene Thermoselect-Abfallentsorgung wieder in Betrieb, die zuletzt nach dem Austritt von Giftgas stillgelegt worden war. Inzwischen mehren sich jedoch Stimmen, dass das Hochtemperaturverfahren doch nicht der Hit ist
aus Karlsruhe BERNHARD BALDAS
Ursprünglich hatten es sich die Karlsruher Stadtoberen so schön gedacht: Die neue Abfallentsorgungsanlage nach dem Thermoselect-Verfahren sollte 225.000 Tonnen Müll jährlich wegschlucken. Das ungefährliche Granulat, das dabei entstünde, würde von der Industrie rege nachgefragt, und überschüssige Energie bliebe auch noch übrig. Doch als die Hightech-Anlage vor zwei Jahren in Betrieb ging, zeigte sich, dass die Realität davon weit entfernt war. Etliche Probeläufe brachten immer neue Probleme zutage, bis das Projekt vor einem Jahr zwangsweise stillgelegt wurde, weil giftige Gase ungehindert entwichen. Seit Juli arbeitet die Anlage wieder versuchshalber. Erste Messwerte erwartet Umweltdezernent Erich Pipa in der nächsten oder übernächsten Woche. Umweltschützer vermuten allerdings, dass – egal, wie die offiziellen Beteuerungen lauten – das Übel nicht abgestellt wurde. Sie haben in den Anlageplänen ein Notventil entdeckt, das die Betreiber bis dahin Experten und der Öffentlichkeit verschwiegen hatten.
Dabei hat die Nachrüstung bereits 30 Millionen Mark gekostet: Ein komplett neues Notbrennsystem wurde installiert, das verhindern soll, dass ungereinigtes schwermetallhaltiges Abgas ins Freie gelangt. Neben dem entweichenden Gas waren im letzten Probelauf 40 weitere Störungen gezählt worden. Darunter eine Dampfexplosion, geborstene Steine im Hochtemperaturreaktor und ein undichtes Sedimentbecken, durch das zyanidhaltige Abwässer entwichen sein könnten. „Karlsruher Murksbau“ nannte der Spiegel damals das vermeintliche „Wunder der Müllentsorgung“, für das der Stromriese EnBW die Lizenz für Bayern und Baden-Württemberg besitzt.
Die Erfahrungen in Karlsruhe haben das Thermoselect-Verfahren, an dessen Lizenzgeber in Liechtenstein die EnBW mit 25,1 Prozent beteiligt ist, ins Gerede gebracht. Kurz vor Beginn des neuen Probebetriebs kam in Ansbach/Bayern das Aus für eine zweite schon halb fertige Anlage. Und auch die weltweite Vermarktung stockt. Tessin, Herten und Hanau warten ab, Pläne für Anlagen in Beirut, Österreich und Polen sind vom Tisch.
Derzeit existiert nur in Chiapa/Japan weltweit eine einzige vereinfachte Anlage im Dauerbetrieb. Hier wird nach Angaben von Umweltschützer Ingo Gödek, der von einer japanischen Bürgerinitiative zur Besichtigung eingeladen war, allerdings nur Gewerbemüll verbrannt. Und das auch nur mit geringer Auslastung von 25 Prozent und häufigen Stillständen.
Jan Hoinkis, Professor für Umwelttechnik und Chemie an der FH-Karlsruhe, hält es für einen „strategischen Fehler“, fernab jeder Erfahrung mit großtechnischen Anlagen zu behaupten: „Wir bauen das Ding, legen den Schalter um, und das läuft.“ Außerdem seien Probleme mit „Werkstoffen aller Art bei extrem hohen Temperaturen im Dauerbetrieb“ abzusehen gewesen.
Wechselnde Müllmengen und deren Zusammensetzung tun ein Übriges. „Die haben in der Pilotanlage in Fondotoce niemals vier Wochen Volllast gefahren“, sagt Gabriele Hoffmann, die im Umweltbundesamt für Abfallbehandlung zuständig ist. Dabei hätten Experten, die sich über die branchenfremde „offensive Werbung“ und das begrenzte Ingenieurswissen gewundert hätten, genau das gefordert.
Doch nicht nur die Technik und der schlechte Ruf, der auf zwei Verurteilungen von Thermoselect-Managern in Fondotoce 1994 und 1999, eine 100.000-Mark-Spende an die CDU und die Nähe zum skandalträchtigen Flowtex-Imperium zurückzuführen sind, sind schlecht fürs Geschäft. „Der Wunderwaffe“, wie die Lokalpresse 1994 nach der ersten Entscheidung der Karlsruher für Thermoselect gejubelt hatte, sind schlicht Müllberge abhanden gekommen, die es zu vernichten gilt. Gesetzesvorgaben zum Recycling haben aus Verbrauchermüll Ströme gezaubert, die in immer differenzierteren Behandlungsanlagen verwertet oder beseitigt werden. Müllverbrennungsanlagen müssen inzwischen schon mit Dumpingpreisen gut brennbaren Müll anwerben, um nicht selbst dazufeuern zu müssen.
Auch der zweite Müllberg wird immer flacher: „Wir haben praktisch keinen Gewerbemüll mehr“, erklärt der Karlsruher Abfallamtsleiter Peter Blank. Konsequent haben Unternehmen in den letzten Jahren die Produktion von Abfällen reduziert oder bringen ihn „zu billigen Deponien und Verbrennungsanlagen in anderen Bundesländern“. Gleichzeitig haben die Betreiber klassischer Müllöfen unter dem Druck sinkender Akzeptanz ihre Rauchgasreinigung optimiert und Kosten gespart. Sie könnten inzwischen gut mit den Thermoselect-Versprechungen konkurrieren, so Hoffmann.
„Der Trend aber geht, auch aus psychologischen Gründen, eindeutig zu mechanisch-biologischen Anlagen“, so Umwelttechniker Hoinkis. Diese dürfen nach einer Verordnung vom Februar diesen Jahres ab 2005 auch Siedlungsabfälle behandeln. Für viele Kommunen wäre das eine kostengünstige und sichere Lösung.
Das scheint auch die EnBW in Karlsruhe so zu sehen, die im jüngst veröffentlichten Aktionärsbericht ihre neue mechanisch-biologische Pilotanlage in Buchen als „wettbewerbsfähige Alternative zur thermischen Behandlung kommunaler Restabfälle“ einstuft. Bleibt die Frage, ob Thermoselect wie in der Vergangenheit der Transrapid im Ausland noch eine Recycling-Chance erhält oder einer möglichst imageschonenden Beseitigung zugeführt wird, wie es auf Abfalldeutsch heißen müsste. (www.goedeka.de/kawagoe).
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