: Wer wird‘s richten? Rudi.
Vor dem heutigen Länderspiel gegen England wird Teamchef Völler von Beckenbauer geadelt, von Torwart Kahn gepriesen und von den Fans bestaunt. Der deutsche Fußball rollt wieder rund. Oder?
aus München FRANK KETTERER
Wer die Lage der Fußballnation eruieren wollte, musste am frühen Donnerstagabend nur ins Olympiastadion nach München pilgern. Das letzte öffentliche Training vor dem großen Spiel stand an, und weil Ordner beim Haupteingang die Tore geöffnet hatten, kamen doch ein paar tausend Fans hereingeströmt in die kühle Betonwanne, vor allem Kids, die sich die Ferien verschönern wollten mit einem Blick auf die neue deutsche Fußballherrlichkeit, wenn schon keine Karten für die längst ausverkaufte „Mutter aller Spiele“ (SZ) zwischen Deutschland und England am heutigen Samstag (19.30 Uhr/ARD) mehr zu haben sind. Es gab also so mancherlei Gejohle und Lärm im hallenden Stadioninnern, bei jedem Nationalspieler, der die Spielwiese betrat, ein bisschen. Dann, als alle Bundeskicker längst auf dem Rasen waren und bereits erste erwärmende Runden drehten, schwoll der Jubel nochmals an und war diesmal lauter und länger als zuvor bei allen anderen zusammen. Vor allem aber bekam das Getöse einen Namen, der nun durch das Oval kreiselte; und auch wenn ihn am Donnerstag nur ein paar hundert Kinderkehlen ausstießen, so bekam man doch schon einmal eine Ahnung, wie das heute Abend sein wird, wenn es den Kids 30.000 oder 40.000 Menschen gleichtun werden – und ihre lang gezogenen Ruuudii-Rufe auf die Reise schicken.
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Szenenwechsel, Ortswechsel, gute 30 Kilometer vor die Tore Münchens. Im zum DFB-Pressezentrum umfunktionierten Gemeindesaal zu Münsing wartete in dieser Woche um die Mittagszeit nicht nur tagtäglich eine Hundertschaft deutscher Journaille auf den Bericht zur Lage der Fußballnation, sondern auch eine Horde englischer Kollegen. Die gelten in der Branche als ganz besonders hart gesotten, in Münsing aber zeigen sie sich in erster Linie etwas verwundert. „Wie kann es sein, dass der deutsche Fußball wieder so stark geworden ist seit der EM?“, will tatsächlich einer von ihnen wissen, was fast schon einem versteckten Lob für den fußballerischen Erzfeind gleichkommt. Droben auf der zum Podium umfunktionierten Bühne, wo sonst Heimattheaterabende stattfinden, sitzt Oliver Kahn und lässt die schweren Kiefer aufeinander malmen, während er nach einer Antwort sucht. „Nach der völlig verkorksten EM“, brummt er schließlich, „war es wichtig, ein intaktes Umfeld zu schaffen.“ Schwupps, schon ist man wieder bei Ruuudii, ganz automatisch geht das in diesen Tagen von München. „Man kommt wieder gerne zur Nationalmannschaft“, sagt Kahn derweil weiter und lobt, dass das natürlich ein Verdienst von Rudi Völler und Michael Skibbe sei. „Es sind viele, viele Dinge, viele Feinheiten, die dazu beitragen, dass die Nationalmannschaft wieder in einem guten Licht dasteht“, kommt Kahn schließlich zum Ende, nicht ohne noch ein konkretes Beispiel zu nennen: „Er ist nicht so weit von den Spielern weg und kann sich in sie einfühlen. Seine aktive Zeit ist ja noch nicht so lange her.“ Die englischen Reporter nicken mit den Köpfen.
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Ein Blick in die Zeitung, diesmal in die Münchner Abendzeitung. Es geht um, natürlich, Ruuudii. „Kaiser Franz adelt Rudi Völler“ wird dort getitelt, und gleich darunter glaubt die irrlichternde Lichtgestalt des deutschen Fußballs tatsächlich etwas zum Thema sagen zu müssen. „Rudi ist einer wie ich“, kaiserschmarrt Franz Beckenbauer also, „er hat keine Schwächen.“ Wie er das wohl meint?
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Der runde Calli ist auch von Leverkusen nach München gekommen, um Ruuudii zu kucken. Vielleicht aber auch, um mit ihm zu reden. Schließlich hat Ruuudii in Leverkusen offiziell noch einen Vertrag bis 2003 als Sportdirektor. Manager Reiner Calmund hätte gerne, dass Ruuudii den einlöst, weiß aber auch, dass das wohl kaum der Fall sein wird, egal wie sehr er darauf auch pochen sollte. Deshalb pocht Calli schon gar nicht mehr so sehr, sondern lenkt ein. „Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir uns mit Rudi arrangieren müssen, wenn er bis 2006 beim DFB weitermachen will“, sagt Calli der SZ. Vor allem, wenn gegen England der entscheidende Sieg und somit die Qualifikation zur WM 2002 gelingen sollte, „wird der Rudi doch mit einer Euphorie überschüttet, dass er fast nicht anders kann“. Ruuudii selbst will zu diesem Thema erst nach dem Spiel gegen England reden.
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Ein Blick auf die Tabelle, zur Vergewisserung. Erster: Deutschland mit 16 Punkten; Zweiter: England mit 10 Zählern, aber einem Spiel weniger; Dritter die Finnen mit 6 Punkten. Ein Sieg heute Abend also würde dem DFB tatsächlich reichen, um nächstes Jahr nach Japan und Südkorea fahren zu dürfen. Die Mannschaft, die das bewerkstelligen soll, steht auch schon ziemlich fest: Kahn ist im Tor ohnehin gesetzt, gleiches gilt für Wörns, Nowotny und Linke in der Abwehr. Im Mittelfeld dürften Rehmer, Ballack und Hamann sichere Plätze haben, lediglich die linke Außenbahn scheint noch vakant: Böhme oder Ziege heißt hier die Alternative, wer es mit Spice-Boy David Beckham zu tun bekommt, wenn dieser noch fit wird. Davor soll Sebastian Deisler für Ideen sorgen und die Spitzen, aller Voraussicht nach Neuville und Jancker, in Szene setzen. Lediglich über die Spielanlage scheinen sich die Deutschen noch nicht ganz einig: „Wir dürfen nicht auf Teufel komm raus stürmen, sondern müssen kühlen Kopf bewahren“, rät Abwehrchef Nowotny und fordert: „Die Null muss stehen. Schließlich bringt uns ein Unentschieden auch weiter. Mehr als England.“ Oliver Kahn hingegen möchte „alles andere als auf ein 0:0 spielen“. Der Münchner Torwächter glaubt: „Wir werden unsere Chance suchen und Tore erzielen wollen.“ Ohnehin aber liegen solch wichtige Dinge nur in der Hand von einem. „Offensiv und aggressiv“ will Völler gegen den zu erwartenden Wirbelwind aus England agieren lassen. Genau so machen wir’s, Ruuudii.
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