: „Innensenator verhindert Integration“
■ Ausländerbehörde untersagt libanesischem Schüler die Teilnahme am Projekt „Jugend für Europa“ in Ungarn. Lehrer „total wütend: Es geht um den Auftrag der Schule.“
„Der Innensenator verhindert unsere Bemühungen um Integration“, mit diesem Vorwurf wendet sich der Bremer Lehrer Frank Borries an die Öffentlichkeit. Borries arbeitet an der „Allgemeinen Berufsschule Steffensweg“ (ABS), einer Einrichtung vor allem für Jugendliche, die keinen Hauptschul-abschluss geschafft haben.
Die Schule sammelt schwierige Fälle, Lehrerarbeit an dieser Schule ist insofern harte Sozialarbeit. Die Hälfte der Klasse sind Ausländer verschiedener Nationalitäten.
Am kommenden Sonntag wollte die Klasse nach Ungarn fahren, dort in Kontakt kommen mit einer ungarischen und einer rumänischen Jugendgruppe. „Jugend für Europa“ heißt das Programm. Für die meisten wäre das die erste große Auslandsreise gewesen, und dementsprechend freuten sie sich darauf. Die EU finanziert solche Reisen, damit Europa auch „von unten“ wächst. Als der Lehrer am Mittwoch vormittag in der Ausländerbehörde vorsprach, wurde dem 17-jährigen Halit Temiz die Reisegenehmigung versagt. Im Amtsdeutsch: Die „Residenzpflicht“ wird nicht aufgehoben, dem Schüler würde die Wiedereinreise nach Deutschland verweigert. Die MitschülerInnen sind empört, enttäuscht, solidarisch. „Jetzt fahren wir alle nicht“, sagt die Klassensprecherin Sibel Kilic. Die SchülerInnen der Multi-Kulti-Klasse wollen untereinander solidarisch sein – auch das, sagt der Lehrer, sei ein wichtiger Lernprozess, der die Basis für eine erfolgreiche Integrationsarbeit bilden könnte. Die Leiterin der Ausländerbehörde hat ihm nahegelegt, diese Solidarität zu brechen und die Klasse zu überreden, die Selektion der Ausländerbehörde zu akzeptieren.
Halit Temic ist einer der kurdischen Libanesen, die die Bremer Ausländerbehörde im Visier hat. „Ich habe eine Abschiebung“, übersetzt er das selbst. Geboren ist er in Beirut, die Eltern sind vor dem Bürgerkrieg in die Türkei geflohen, haben sich dort türkische Pässe besorgt, um damit nach Deutschland auszureisen – das war vor 13 Jahren. Halit war damals vier. Einen anerkannten Status hatte die libanesische Familie nie, „wir sind schon seit sechs Jahren auf Abschiebung“, beschreibt das Halit. Und der Vater ist seit seiner Ankunft in Deutschland arbeitslos, hat Arbeitsverbot. „Mein Vater möchte arbeiten, aber er darf nicht“, sagt Halit.
Halit ist einer der libanesischen Jungs, die unter diesen sozialen Umständen abgerutscht sind. Zur Schule gehen? „Hatte keine Lust.“ Auf der Straße habe er „mit falschen Leuten abgehangen“, sagt er heute, ist straffällig geworden. Bewährungshelfer? „Schon lange nicht mehr gesehen.“
In der Klasse von Lehrer Borries scheint er sich zu fangen. „Jetzt habe ich Lust“, sagt er. Er kommt regelmäßig zur Schule, in der Klasse wird auch über die Probleme der Schüler geredet, sagt der Lehrer. Fast als wäre da ein Bündnis gegen das Abrutschen entstanden. Denn Halit ist nicht der einzige, der „Mist gebaut“ hat als Jugendlicher. Agnieszka, die Polin, hat auch den Hauptschulabschluss im ersten Anlauf nicht geschafft. Eine andere Mitschülerin hat ein Kind bekommen, was sie aus der Hauptschule rausgeworfen hat. Houssam, im Libanon geboren, erklärt: „Wir waren eifersüchtig, deswegen haben wir angefangen, Scheiße zu bauen.“ Und jetzt freut er sich, „dass alle mitmachen wollen“, bei der gemeinsamen Fahrt nach Ungarn. Als seine Eltern aus dem Libanon flohen, war er ein kleines Kind. Aufgewachsen ist der 19-Jährige in Deutschland: „Wir kennen nur Deutschland.“
Lehrer Borries ist „total wütend“, dass die Ausländerbehörde und der Innensenator ihm mit einem Federstrich die pädagogische Arbeit kaputt macht. „Es geht hier um den Auftrag der Schule“, sagt er.
Klaus Wolschner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen