: Reisetipp: Urlaub auf dem Lande
Wegen andauernder Reizüberflutung ist er seit Jahren zwischen Stadt und Land unterwegs. Früher kam ihm das Landleben besonders verblödet vor, heute ist es der Alltag in der Stadt. Unser Autor testete schöne Landadressen von Italien bis Polenvon HELMUT HÖGE
Als Konsument möchte man eine Ware, die man erwirbt, genießen, als ihr Produzent tritt sie einem jedoch stets feindlich gegenüber. Diesen Doppelcharakter der Arbeitsprodukte gilt es noch immer zu überwinden. Früher habe ich – um mich dieser Notwendigkeit zu vergewissern – oft und gerne in der Landwirtschaft gearbeitet. Heute ist mir eher nach „Ferien auf dem Bauernhof“ zumute. So wie ich als landwirtschaftlicher Betriebshelfer immer Glück mit den Bauern als Arbeitgebern hatte, bis hin zu einem LPG-Brigadier, ist es bisher auch mit den Bauern als Pensionswirten gewesen.
Der erste war ein arbeitsloser toskanischer Soziologe namens Lippo Lippi, der zusammen mit einem arbeitslosen Freund, Silvio, einen Teil des Hofes seiner Frau Maria, die in Siena bei einem Radiosender arbeitete, zu einer Ferienpension umgebaut hatte. Die Gäste mussten sich selbst verpflegen, was aber nicht schwierig war, weil es mehrere gute Restaurants in der Nähe gab. Außerdem verkaufte Lippo ihnen billig Eier, Milch, Käse, Tomaten und Rotwein, und das zu jeder Tages- und Nachtzeit, denn meist saß er mit seinem Freund Silvio und einem weiteren Genossen in seiner großen Küche, trank Kaffee und diskutierte die Weltläufte. Ich war 1988 zum Arbeiten dorthin gekommen.
Ein Jahr später wiederholten ich das Ganze bei Enno und Gisela Kempe in Groothusen. Der ostfriesische Hof des Ehepaars Kempe war noch umwerfender als der toskanische – er hieß Osterburg und war ein ostfriesisches Häuptlingsschloss, von einem Wassergraben umgeben. Die Osterburg hatte Hero Mauritz von Closter, Häuptling zu Dornum und Petkum, Ende des 16. Jahrhunderts errichten lassen, und viele seiner Nachkommen waren bekannte ostfriesische Persönlichkeiten gewesen. Das möchte ich auch von ihrem letzten Spross, den jetzigen Osterburg-Bewohnern Kempe, behaupten. Enno Kempe hatte seine Landwirtschaft in den 60er-Jahren verpachtet und sich dem Studium seiner Familie und ihres Hauses gewidmet. Dazu gehörten die über die Jahrhunderte angesammelten Kunstwerke im Familienbesitz, z. B. eine nahezu lückenlose Porträtgalerie seiner Ahnen, sowie Briefwechsel eines Vorfahren mit Alexander von Humboldt. Aber auch die kenntnisreiche Restauration des Hofes – bis hin zur goldledernen Tapete und dem Kamin im Rokokozimmer sowie der Parkanlage aus dem späten 18. Jahrhundert. Wozu er überall wegen Fördergeldern anfragen musste. Daneben ersteigerte er einige von seinen Vorfahren verschleuderte Möbel zurück, aber auch eine ganze Bibliothek über die Geschichte Frieslands – mit allem, was dazugehört. Für 28 Mark pro Person und Tag bezog ich in der Osterburg zwei Zimmer, wovon eines eine Küche war, in der ich mir stündlich frischen Ostfriesentee zubereiten konnte.
Heuer nun stand ein Arbeitsurlaub auf einem Reiterhof in Nowina bei Henryków, etwa 50 Kilometer südwestlich von Wrocław, auf dem Plan. Die Hofbesitzer Katarzyna und Jurek waren früher öfter nach Afrika gereist, davon zeugte noch ein Teil der Kunst, die an den Gebäuden und in den Gärten drum herum aufgehängt war. Diese Gärten waren ganz außergewöhnlich üppig und professionell angelegt worden: Jurek hatte Gartenbau studiert und Katarzyna Landwirtschaft. Jurek verlangte bei Vollpension für ein Zimmer 35 Zloty pro Person. Dafür sprachen nicht nur die wunderbaren Mahlzeiten, die mir Katarzyna täglich vorsetzte, sondern auch die abendlichen Grillpartys von Jurek, zu denen auch Besuch aus Wrocław anreiste. Wobei man nicht zwischen seinen guten Freunden und den zahlenden Gästen unterscheiden konnte.
Enno und Gisela Kempe: An der Osterburg 1, 26736 Groothusen; Telefon (0 49 23) 12 70 Katarzyna und Jurek Trawinscy: Nowina 6, 57210 Henryków; Tel.: (00 48 74) 8 10 26 87; republika.pl/trawinscy.Der Ferienkatalog der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) „Urlaub auf dem Bauernhof/Landurlaub“ ist gegen eine Schutzgebühr von 19,90 Mark inklusive Versandkosten erhältlich bei: DLG-Urlaubsservice, Eschborner Landstraße 122, 60489 Frankfurt; Telefon (0 69) 2 47 88-4 66; Fax (0 69) 2 47 88-4 80; E-Mail: dlg-verlag@dlg-frankfurt.de; www.landtourismus.dePS: Lippo Lippi ist inzwischen Tourismusdozent in Bologna geworden und hat Marias Hofpension aufgegeben.
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