: Machtspiele und Drohungen
Im Streit um das Zuwanderungsgesetz wird der Ton gereizter. Rot-grüne Koalitionsrunde endet im Dissens. Grüner Fraktionschef Rezzo Schlauch droht und hofft. Innenminister Otto Schily gibt sich zuversichtlich und greift CSU-Politiker an
aus Berlin SEVERIN WEILAND
Bekanntlich sei es eine der Charakterschwächen der Deutschen, pessimistisch zu sein, meinte Bundesinnenminister Otto Schily gestern in Berlin. Er dagegen sei Optimist, und als solcher sehe er den kommenden Verhandlungen über das Einwanderungsgesetz entgegen. Bei Schily war gestern Schadensbegrenzung angesagt, denn einen Tag zuvor war die rot-grüne Koalitionsrunde ohne erkennbares Ergebnis auseinandergegangen – zum ersten Mal.
Cem Özdemir, der um einen aussichtsreichen Listenplatz für die Bundestagswahl in Baden-Württemberg kämpft, hatte gestern morgen allerdings noch scharf reagiert: Was gegenwärtig geschehe, sei „nicht mehr so sehr Konsens“, sondern „zunehmend Nonsens“. Schily, dem sonst ein gutes Verhältnis zum innenpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion nachgesagt wird, meinte daraufhin, er wolle die Tonlage Özdemirs „nicht durch ein Echo versehen“. Er hoffe, dass in der Sprache der Koalitionäre die Gemeinsamkeit erkennbar bleibe.
Zwei Stunden hatten am Donnerstagabend auf Seiten der SPD Gerhard Schröder, Schily, Fraktionschef Peter Struck, sein Vize Ludwig Stiegler mit den Grünen Joschka Fischer, den Fraktionschefs Kerstin Müller und Rezzo Schlauch, der Parteispitze Claudia Roth und Fritz Kuhn sowie dem Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer konferiert. Der umstrittene Entwurf wurden bei dieser Gelegenheit nur an exemplarischen Punkten besprochen.
Das Feilen an Details überließ man einer SPD-Grünen-Arbeitsgruppe. Sie wird am Dienstag zusammenkommen und in Zusammenarbeit mit Schilys Fachbeamten nach Lösungen suchen.
Eine Lösung zeichnet sich zumindest in einem Punkt ab: So erklärte Schily gestern, dass alle bislang geduldeten Flüchtlinge künftig eine Bescheinigung über ihren neuen Status erhalten sollen. Auf eine entsprechende Lücke, die manche Flüchtlinge ohne Nachweis gelassen hätte, war von Seiten der Grünen hingewiesen worden. Man werde am Ende eine Gesamtbewertung vornehmen und sehen, „ob sich der Daumen mehr nach unten oder nach oben neigt – vermutlich wird er mehr in der Schräge sein“, meinte gestern Özdemir gegenüber der taz.
Schily betonte, nicht alle Wünsche der Grünen seien erfüllbar. Konkretisierungen im Gesetzestext wie auch Verbesserungen, die dem Zustandekommen einer breiten Mehrheit dienten, seien jedoch willkommen.
Schröder hatte in der Koalitionsrunde klargestellt, dass Schilys Entwurf am 26. September im Kabinett verabschiedet werden soll und damit seinem Minister den Rücken gestärkt.
Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch bezeichnete gegenüber der taz die Lage als „sehr ernst“, meinte aber einschränkend: „Ich gehe davon aus, dass es durchaus noch eine Chance zur Einigung gibt – wenn alle Beteiligten konzentriert zur Sache gehen.“
Im Sender N 24 war er dagegen mit der Bemerkung zitiert worden, die Koalition sei am Ende, sollte das Gesetz ohne die Grünen verabschiedet werden; das sei „allen Beteiligten klar“.
Die Koalitionsrunde, so Schlauch zur taz, habe dazu gedient, die „Ernsthaftigkeit unseres Anliegens zu unterstreichen“. Die Runde soll auf jeden Fall noch einmal vor dem Kabinettsbeschluss einberufen werden.
Dass die Atmosphäre am Donnerstag nicht von Spannungen frei war, zeigte ein Detail der Pressekonferenz: Vor laufenden Kameras korrigierte Schily eine Darstellung Roths über den weiteren Verlauf der Beratungen. Die federführende Arbeit der Vorlage bleibe weiter Sache seines Hauses, so der Minister. Der Vorfall wurde gestern von beiden Beteiligten heruntergespielt: Offenbar habe es ein Missverständnis gegeben, so Roth. Schily betonte ironisch, sein Satz sollte als Bemerkung eines „älteren Herrn“ zu vorgerückter Stunde gewertet werden.
Mit scharfen Worten bedachte der SPD-Minister gestern Teile der Union. Den CSU-Gesundheitsexperten Horst Seehofer, der für eine Ablehnung plädiert, nannte er sarkastisch den „bekannten Zuwanderungspolitiker Seehofer“. Auch Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber tadelte er: Dieser könne noch so sehr von einem Bierzelt ins andere ziehen, er werde den Inhalt des Entwurfs „nicht verfälschen können“. Er vertraue darauf, dass bei der Union vor allem die Vernunft bei denjenigen obsiegt, „die in den Ländern regieren“.
Schily erwähnte das Telefonat mit „einem CDU-Innenminister“, der die Vorlage als „großen Wurf“ bezeichnet hatte. Er sei daher, so Schily, auf die Innenministerkonferenz Anfang nächster Woche gespannt.
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