Für Frieden, gegen Krieg?

Heute findet am Brandenburger Tor eine Kundgebung aller Parteien statt. Doch wofür und wogegen soll demonstriert werden? Für eine Politik des Friedens oder für eine neue Logik der Ausgrenzung?

von UWE RADA

Es herrscht Krieg, Krieg in einer neuen Dimension, Krieg gegen die USA. So ist es in vielen Zeitungen zu lesen, so empfinden es viele angesichts der Bilder aus New York und Washington. Fast alle in Berlin, auch eine große Mehrheit der Moslems, sind gegen diesen Krieg. Nur, wie weit reicht diese Einigkeit? Schließt sie auch die Reaktionen auf die Terroranschläge ein?

Wenn heute zehntausende oder gar hunderttausend am Brandenburger Tor zusammenkommen, um ihren Abscheu, ihr Mitgefühl, ihre Fassungslosigkeit zu demonstrieren, steht ein anderer Krieg bereits im Bereich des Möglichen, ja des Wahrscheinlichen. In den USA hat eine parteienübergreifende Koalition beschlossen, die finanziellen Mittel für den „Krieg gegen den Terror“ bereitzustellen. Das Motto der heutigen Demonstration, zu der alle im Bundestag vertretenen Parteien aufrufen, lautet: „Keine Macht dem Terror – Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika“.

Heißt das im Zweifel auch Solidarität mit George W. Bush und seinem „Krieg gegen den Terror“? Sollen wir heute am Brandenburger Tor auch für Vergeltungsschläge, gar die Beteiligung der Bundeswehr bei Bombenangriffen auf Afghanistan demonstrieren? Wer stellt in diesen Tagen noch die Frage nach dem Frieden?

Die Bilder von den einstürzenden Twin Towers werden seit Mittwoch von den Berichten über Einzelschicksale überlagert. Wir sehen Menschen, die von ihren Angehörigen ein letztes Mal per Handy hören; oder jenen Mann, der es geschafft hat, sich aus dem World Trade in Sicherheit zu bringen, nur um kurz darauf zu erfahren, dass seine Schwester in einem der Flugzeige saß, die das Gebäude zum Einsturz brachten. Angesichts dieser Schicksale ist es schwer, über Krieg und Frieden nachzudenken. Zu sehr steht das unmittelbare Empfinden im Vordergrund, der Wunsch, irgendetwas zu tun, zu bekunden.

Die Politik allerdings hat Fakten geschaffen. Die Nato hat den Verteidigungsfall erklärt, und die deutschen Parteien nicken, als seien wir wirklich alle, wie es Peter Struck gesagt hat, Amerikaner. Wem fiele da nicht der August 1914 ein, das böse Wort des Kaisers, er kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche? „Keine Macht dem Terror“, sollte man den Unterzeichnern des Aufrufs sagen, ist nicht gleichbedeutend mit „Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika“. Eine Kundgebung gegen den Krieg und für den Frieden hätte ein besseres Motto verdient, eines, das weniger die amerikanische Regierung als vielmehr die Menschen in den Vordergrund stellt.

Umso wichtiger ist es deshalb, neben aller Trauer und Solidarität auch politische Überzeugungen zu formulieren, weiterhin nach Ursachen und Wirkungen zu fragen, weil es sonst wirklich nur ein Wort gibt, das die Ereignisse zu fassen vermag: Krieg.

Was aber ist Frieden, was Friedenspolitik in einer Zeit, in der alle von der neuen Dimension des Krieges reden? Einfacher zu beantworten ist da schon, was nicht Frieden ist: Luftangriffe auf „Schurkenstaaten“ etwa, die auch Zivilisten treffen, Militärschläge, die nicht die Verantwortlichen des Terrors zum Ziel haben, sondern jene, die man dazu erklärt. Und da ist dann noch der Nahe Osten, der erneute Einmarsch israelischer Truppen in Dschenin und Jericho, der weitere Selbstmordanschläge nach sich ziehen könnte.

Der Hinweis auf den israelisch-palästinensischen Konflikt ist schon deshalb wichtig, weil er in den vergangenen zwölf Monaten wie kein anderer die Logik von Krieg und Frieden, Freund und Feind demonstriert hat – auf beiden Seiten. Die Folge war eine Spirale der Gewalt und eine Verfestigung dieser Logik, aus der es kaum mehr ein Entrinnen gab.

Soll nun diese Logik im Weltmaßstab implementiert werden, mit allen Konsequenzen, den vorstellbaren und den unvorstellbaren? Oder hört man auch auf die Stimmen derer, die mahnen, dass nun die allerletzte Chance bestehe, im Nahen Osten die Waffen wieder durch die Politik zu ersetzen? Dazu bedürfte es freilich mehr als der Feststellung des Nato-Verteidigungsfalles. Es wäre gut, wenn auf der heutigen Demonstration dem Konsens der Parteien solche Fragen gegenübergestellt würden.

Es wäre dringend nötig. Immerhin war in den letzten Tagen ein bemerkenswerter Kontrast zwischen der Politik und den Stimmen auf der Straße zu vernehmen. Während der Bundeskanzler und die Parteivorsitzenden den Schulterschluss der „zivilisierten“ Welt einklagen, hängt vor der US-Botschaft ein Transparent: „No revenge please. No World War 3“ – „Bitte keine Rache, kein Dritter Weltkrieg“. Es ist die Angst der Menschen, die der Politik auch den Weg in den Frieden, aus der Logik des Krieges heraus weisen könnte.

Frieden, das bedeutet aber auch, die Welt nicht, wie es die Initiatoren der heutigen Kundgebung tun, noch weiter zu spalten, nicht in einen „ziviliserten“ und einen „barbarischen“ Teil. Die Anschläge gegen arabische Einrichtungen in den USA geben bereits eine Vorahnung darauf: Wer dem „Clash of Civilizations“ folgt, folgt der Logik des Konflikts, jener von Freund und Feind, von „wir“ und „denen“. Der trägt unmittelbar dazu bei, diesen Konflikt, der ansonsten „irgendwo“ in der Welt stattfindet, auch von sich aus in die Städte der „zivilisierten“ Welt zu tragen. Schließlich sind „wir“ und „sie“ schon lange nicht mehr räumlich getrennt und eigentlich zum Frieden verdammt.

Statt die bestehenden Feindbilder auszubauen, statt eine neue Mobilisierung zum „Kreuzzug gegen das Böse“ zu beginnen, sollte man lieber den Worten der Globalisierungskritiker Aufmerksamkeit schenken: Friede, das ist eben nicht nur die Abwesenheit von Krieg, Frieden ist auch soziale Gerechtigkeit. Auch islamische Fundamentalisten werden nicht als solche geboren, sie werden zu solchen gemacht.

Dass Kundgebungen nicht nur die Botschaft derer vermitteln, die zu ihnen aufrufen, hat die Rede von Paul Spiegel beim „Aufstand der Anständigen“ gezeigt. Warum sollte nicht auch die heutige Kundgebung zu einer Demonstration gegen den Krieg und für den Frieden werden?