: Statistische Nummer eins
Brandenburg hat den bundesweit größten Anteil ökologischer Landwirtschaftsnutzflächen. Die Interpretation dieser Erfolgszahl fällt je nach Blickwinkel allerdings äußerst unterschiedlich aus
von TILMAN VON ROHDEN
Großes Hosianna in Brandenburg: Die Landesregierung feiert ihren statistisch ersten Platz im ökologischen Landbau. Nach einer Erhebung der in Eberswalde ansässigen Landesanstalt für Großschutzgebiete (LAGS) werden sechs Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen im ökologischen Landbau betrieben. Im Bundesdurchschnitt sind es lediglich 2,4 Prozent.
Maßgeblich für den Erfolg sind die brandenburgischen Biosphärenreservate und Großschutzgebiete, denn in ihnen liegt der Anteil im Landesdurchschnitt bei rund 13 Prozent. Außerhalb dieser geschützten Areale liegt der Anteil bei knapp vier Prozent. „Damit erweisen sich die Großschutzgebiete als wirkliche Modelllandschaften für naturverträgliches und nachhaltiges Wirtschaften“, sagt der Direktor der LAGS Axel Vogel.
Den Modellcharakter bestreitet allerdings Burkhard Voß, Vorstandsmitglied im brandenburgischen Landesverband des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND): „Von einer Modelllandschaft kann nur gesprochen werden, wenn es in diesen Gebieten vor allem ökologischen Landbau geben würde. Davon sind wir jedoch weit entfernt. Durchsetzen lässt sich das nicht, weil die Agrarlobby den Abbau intensiv genutzter Flächen erfolgreich verhindert.“
In den Großschutzgebieten liegt rund ein Viertel der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche Brandenburgs. Gleichzeitig befinden sich dort aber 55 Prozent aller ökologisch bewirtschafteten Flächen. Die Ausnahmesituation zeigt sich auch daran, dass von den landesweit 440 Ökobetrieben knapp 40 Prozent ihre Flächen in den Naturparks haben.
Die besondere Situation in diesen Gebieten hat aber auch noch eine andere Ursache. Mit dem Übertritt ins westliche Agrarsystem im Jahr 1990 musste sich die ostdeutsche Landwirtschaft neu strukturieren. Und schon damals entschieden sich einige Bauern für den Ökolandbau, weil sie eine Marktnische sahen.
So arbeitete vor 1990 auf dem Gebiet des heutigen Brandenburg lediglich ein biologisch-dynamischer Betrieb: der seit den 20er-Jahren am Scharmützelsee wirtschaftende Hof Marienhöhe (heute Kreis Oder-Spree). Zu den Ökobetrieben der ersten Stunde in den Großschutzgebieten zählen auch die Ökodomäne Hohenwalde und der Agrarbetrieb im Ökodorf Brodowin (Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin).
Burkhard Voß vom BUND warnt jedoch vor einem Spiel mit gezinkten Begriffen. Ökolandbau habe es in der Tat vor 1990 kaum gegeben, jedoch oftmals eine extensive landwirtschaftliche Nutzung, die sich mit dem Ökolandbau in vielerlei Hinsicht vergleichen lasse. Denn die Böden in den Naturparks seien oft nicht von erster Güte, so dass eine intensive Nutzung deshalb kaum in Frage käme.
Dieser Nachteil könne nur durch größere Flächen ausgeglichen werden. Insofern falle das Lob nicht einer klugen Regierungspolitik zu, sondern den natürlichen Gegebenheiten: „Wer viel Moore hat, richtet eben Naturschutzzonen ein“, so Voß.
Spitzenreiter unter den Großschutzgebieten ist jedenfalls das Biosphärenreservat Spreewald mit 17.500 Hektar Ökolandfläche, was einem Anteil von 69 Prozent entspricht. Damit befindet sich ein Fünftel der brandenburgischen Ökoanbaufläche im Biosphärenreservat Spreewald. Allein in diesem Großschutzgebiet befindet sich mehr Ökoanbaufläche als in Rheinland- Pfalz (8.160 ha), Schleswig-Holstein (12.850 ha) oder Hessen (17.011 ha). Andere Naturparks mit einem besonders hohen Anteil an Ökolandflächen sind Dahme-Heideseen (42 Prozent) und das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin (23 Prozent).
Der Anteil der Ökolandflächen in den Naturparks schwankt sehr stark. In zwei der 16 Areale existiert überhaupt kein ökologischer Landbau (Nationalpark Unteres Odertal, Naturpark Schlaubetal). In fünf anderen Gebieten liegt der Anteil unter fünf Prozent. Für Voß wird damit das Konzept von Naturschutzflächen auf den Kopf gestellt. Seiner Meinung nach sollte es in diesen Gebieten überhaupt keine konventionelle Landwirtschaft geben.
Direktor Vogel führt den überdurchschnittlichen Anteil an Ökoflächen in den Naturschutzgebieten auf mehrere Ursachen zurück. Zum einen auf eine „kontinuierliche Beratung und Betreuung“ der Bauern durch die LAGS sowie eine „enge Zusammenarbeit“ mit den Ökolandbauverbänden.
Daneben seien allerdings die „Vermarktungschancen im Berliner Umland“ und ein „bewussteres Verbraucherverhalten“ ausschlaggebend.
Vogel ist überzeugt, dass sich mit einer gezielten Förderung der Ökolandbauanteil weiter erhöhen lässt. Agrar- und Umweltminister Wolfgang Birthler glaubt, dass sich in „absehbarer Zeit“ ein Marktanteil für Ökoprodukte von zehn Prozent realisieren lässt. Voraussetzung sei jedoch eine bessere Vermarktung der Produkte über größere Zusammenschlüsse von Erzeugern und Fachhändlern.
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