: Verdrängungskunst
Die Deutsche Eishockey-Liga lässt den Puck tanzen. Schlittschuhläufer aus den USA finden das ganz okay
BERLIN taz ■ 20 US-Amerikaner spielen in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL). Für die Eisbären Berlin gehen vier aufs Eis. Unter ihnen: David Roberts. Er ist Linksaußen in der zweiten Angriffsreihe. Sein Trainer Uli Egen sagt über ihn, er sei ein hervorragender „Zwei-Wege-Spieler“ mit guter Technik. Gestern musste er sein Können unter Beweis stellen, beim Spiel seines Klubs gegen die Augsburg Panther. Am Arm seines Trikots mit der Nummer neun trug er einen Trauerflor. Zwischen den Spielpausen blieb es still. Auf Musik und Showeinlagen wurde verzichtet. Die DEL hatte beschlossen, trotz der Terroranschläge in den Vereinigten Staaten am Freitag und Sonntag spielen zu lassen.
In keiner anderen deutschen Profiliga sind so viele Spieler aus den USA unter Vertrag. Roberts findet die Entscheidung der DEL okay. „Der Terror sollte dich nicht davon abhalten, deine Arbeit zu tun“, sagt er. Die Eisbären sind nicht nur wegen ihrer Cracks aus Übersee von den Ereignissen in New York und Washington betroffen. Garnet „Ace“ Bailey saß im Flug Nummer 175 der United Airlines. Der Spieler-Scout, der in der Saisonvorbereitung auch für die Eisbären arbeitete und im Stab der Los Angeles Kings stand, kam ums Leben, als das Flugzeug in den zweiten Turm des World Trade Centers in Manhattan raste. Mit ihm starb Mark Bavis, ein weiterer Spielerbeobachter der Kings. „Hoffentlich wird die vereinte zivilisierte Welt die Verantwortlichen finden“, sagt Roberts. „Ich denke immer an die Leute drüben, an deren Sicherheit und die Sicherheit meines Sohnes James Dougles.“
US-Sport ruht überdas Wochenende
Roberts telefonierte nach den Attacken sofort mit seiner Familie, die an der Ostküste in Connecticut lebt. Ihnen gehe es gut, erfuhr er nach den Anrufen. Keiner der DEL-Spieler hat Verwandte oder Freunde verloren. Auch die Spieler und Verantwortlichen der nordamerikanischen Profiliga NHL blieben verschont. Die National Hockey League hat ihre Saisonvorbereitungsspiele am Wochenende abgesagt. Auch die Baseball-Liga MLB reagierte auf den Anschlag. Sie unterbrach erstmals seit 1918 – von Streiks einmal abgesehen – einen Spieltag. 91 Partien wurden verschoben. Erst am Montag soll es weitegehen.
Die Footballer taten es ihnen nach. Wenn man bedenkt, dass der Football in der NFL schon zwei Tage nach dem Attentat auf John F. Kennedy wieder flog, dann wird das Ausmaß des nationales Traumas sichtbar. „Wenn du vier Flugzeuge an einem Tag entführen kannst, dann ist auch die Bombardierung eines Stadions vorstellbar“, sagt Baseballspieler Jeff Bagwell von den Houston Astros. NFL-Chef Paul Tagliabue äußert: „Wir glauben, dass es richtig ist, eine Woche zu haben, um über die Geschehnisse nachzudenken.“
David Roberts von den Eisbären hat 125 Mal in der NHL gespielt. 20 Tore schoss der 31-Jährige für die St. Louis Blues, Edmonton Oilers und die Vancouver Canucks. Vor der Saison kam er nach Berlin. Roberts Betroffenheit ist groß. Aber er hat die Anschläge nicht in den USA erlebt. Für ihn gilt noch: Der Terror passiert „anywhere, but not home“. Und wenn es kracht, sind es nur ein paar Obskuranten, die ihr Unwesen treiben.
Der amerikanischeReflex funktioniert
Die Lähmung, unter der die USA leiden – davon blieb Roberts verschont, auch von der grundlegenden Angst, mit dem Eintritt in die Normalität verletzlich zu sein wie nie zuvor und den Tätern durch das Alltagsleben wieder eine Angriffsfläche zu bieten. Bei Roberts greift der amerikanische Reflex, das Unwillkürliche mit der Macht des Egos bezwingen zu wollen. „Diese Leute können uns nicht davon abhalten, unseren Job zu tun“, sagt er. „Die paar Verrückten diktieren uns doch nicht, wie wir zu leben haben. Deswegen hören wir nicht auf zu spielen.“
In Manhattan, auch Sitz der NHL, hört sich das schon weniger selbstsicher an. Das Mannschaftsquartier des NHL-Klubs New York Rangers befindet sich zwei Kilometer entfernt vom World Trade Center. Rangers-Spieler Theoren Fleury, der den ersten Turm kollabieren sah, wusste sehr schnell, dass der amerikanische Sport unter den Trümmern zweier Hochhaustürme begraben liegt, zumindest für eine Weile.
In der Kabine der Eisbären wird nach wie vor heftig über die Folgen des Anschlags diskutiert. Stürmer Sven Felski geht die Sache entschieden pragmatisch an. „Es herrscht immer noch Bedrückung, aber man kann ja nicht viel machen“, sagt er. Jeff Tomlinson, Kanadier und verheiratet mit einer US-Amerikanerin aus North Carolina, wackeln noch ein wenig die Knie, wenn er aufs Eis läuft. „Ich kann nicht wirklich an Eishockey denken, aber wir müssen das verdrängen und einfach unseren Job tun.“
Morgen sollte die Eisbären-Arena offiziell in „Wellblechpalast“ umbenannt werden. Das geplante Fest, Ballyhoo und Halligalli rund um die Taufe fallen aus. Nicht aber das Match gegen die Mannheimer Adler. „Wir sollten spielen, aber den Opfern Respekt zeigen“, sagt Jeff Tomlinson. Bevor es zur Sache geht, gedenken Fans, Spieler, Trainer und Schiedsrichter der Opfer in einer Schweigeminute. „Das ist das, was wir tun können.“
MARKUS VÖLKER
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