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Des Teufels Regisseur

„Jud Süß – Ein Film als Verbrechen?“ Nach Kriegsende wurde Veit Harlan immerhin der Prozess gemacht. Das Urteil: Freispruch. Jetzt rollt Horst Königstein den Fall neu auf (Arte, 22.15 Uhr)

von MICHAEL MAREK

„Wer in der ersten Reihe steht, hat höchste Ansprüche an Glaubwürdigkeit, und wenn er sich nicht bewährt, so ist das ein menschliches Versagen, aber keine kriminelle Schuld, die das Strafrecht ahnden könnte“, schrieb derJournalist Ernst Friedlaender kurz nach dem Beginn des Prozesses gegen Veit Harlan am 3. März 1949 – ein einsamer Rufer, der, statt zu verurteilen, nach der Tat und ihren Folgen fragte.

Die Symbolfigur des Unterhaltungskinos unterm Hakenkreuz musste sich vor dem Hamburger Landgericht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Harlan wurde beschuldigt, mit seinem 1940 uraufgeführten antijüdischen Hetzfilm „Jud Süß“ als psychologischer Wegbereiter des Holocausts gewirkt zu haben. Der Film bot alles, was Joseph Goebbels und die NS-Propaganda haben wollten: ausgefeilte Technik, eine melodramatische Liebesgeschichte und antisemitische Feindbilder. Der Minister jubelte: „Muster der neuen Judenfilme geprüft. ,Jud Süss‘ von Harlan mit Krauß und Marian hervorragend. Wir werden der Welt ein Beispiel für die überlegene geistige Kriegführung bieten.“ Derweil lief die Judenverfolgung im Reich und in den besetzten Gebieten auf Hochtouren.

Den Prozessverlauf von 1949 nachzuerzählen, versucht jetzt der für seine zeitkritischen Fernsehspiele bekannte Regisseur Horst Königstein – in einer überaus spannenden Mischung aus Dokumentation und Fernsehspiel. „Was mich bestürzte, entsetzte, mit Abscheu erfüllte, war das Verhalten von Harlan selbst“, sagt in der ambitionierten NDR/arte-Koproduktion Ralph Giordano, damals Prozessbeobachter für die Jüdische Allgemeine Zeitung: „Harlan selbst stilisierte sich zu einem Widerstandskämpfer –unter dem Motto, er habe Schlimmeres verhindert.“

Giordano, Harlans Sekretärin Lu Schlage, Marianne Hoppe und Goebbels Stellvertreter für Filmfragen, Fritz Hippler, sie alle wurden nach ihren Erinnerungen an Veit Harlan befragt. Aus der Montage von Rede und Gegenrede entsteht dabei ein Mosaik widersprüchlicher Meinungen.

Diese Zeitzeugen-Interviews hat Königstein dramaturgisch geschickt mit Spielhandlung und Filmausschnitten in Szene gesetzt. Alle Prozessbeteiligten sahen sich damals mit einem neuen Täterkreis konfrontiert: den Künstlern und Intellektuellen der NS-Diktatur. Wie die Schöffen im Hamburger Prozess soll heute der Zuschauer eine Antwort darauf finden, wer Harlan war: des Teufels Regisseur, ein Karrierist wie Gustaf Gründgens, doch nur ein Werkzeug in den Händen des Propagandaministers – oder von allem etwas.

Doch ganz befriedigend vermag Königsteins Fernsehdrama das komplexe Geflecht nicht aufzulösen. Wichtige Zeitzeugen wie Harlans Sohn wurden nicht interviewt. Und auch die pausenlos bedeutungsschwanger dahinrieselnde Filmmusik von Hans P. Ströer ist nie mehr ist als Illustration – als ob der Film seinen eigenen Bildern und Dialogen nicht trauen würde. Als ob die Erzählung allein nicht ausreiche, um die Zuschauer zu berühren. Das gilt auch für manch überzogene Geste der Schauspieler: Wenn Johannes Silberschneider als Goebbels den Propagandaminister zu imitieren versucht, wirkt das unfreiwillig komisch – und alles andere als authentisch.

Nach 52 Prozesstagen mit zahllosen Zeugenvernehmungen wurde Harlan im April 1949 freigesprochen. Nun war Harlan keineswegs der dämonische Verbrecher, für den ihn Teile der Öffentlichkeit hielten. Er war auch nie Mitglied der NSDAP gewesen, obwohl er sich öffentlich zum Nationalsozialismus bekannte hatte. Aber war er deshalb unschuldig? Vor Gericht behauptete Harlan, er habe „Jud Süß“ gar nicht drehen wollen und sei von Goebbels zwangsverpflichtet worden. Doch Harlan musste zugeben, in polnischen und tschechischen Ghettos persönlich jüdische Komparsen ausgesucht zu haben – in Zusammenarbeit mit dem Reichssicherheitshauptamt von Adolf Eichmann.

Kein Schuldbewusstsein

Fest steht: Filmschaffende wie Harlan waren keineswegs nur wehrlose Opfer der nationalsozialistischen Kulturpolitik. Regisseur, Schauspieler oder Drehbuchschreiber unterm Hakenkreuz zu sein forderte den jeweiligen Künstlern eine spezifische Mentalität ab, eine Mischung aus partieller Anpassung, äußerer Unterwerfung – und teilweise innerer Emigration. Wie auch andere Künstler vor und nach ihm fand sich Harlan überdies nicht erst auf Druck des Propagandaministeriums zur Kooperation bereit. Unterhaltungskunst unter dem Hakenkreuz herzustellen, das war für ihn, den Meister des Melodrams, eine handwerkliche Herausforderung. Dass er sich damit in NS-Verbrechen verstrickte, hat Harlan offensichlich nie begriffen. Von einem Unrechts- oder Schuldbewusstsein keine Spur.

All das erzählt Königstein in seinem Dokudrama behände und differenziert. Und doch bleiben wichtige Hintergründe der beiden Pozesse unerwähnt. So fehlt jeder Hinweis auf die völlig entgegengesetzten Urteilsbegründungen: Im ersten Prozess 1949 wurde Harlan freigesprochen, weil man ihm und seinem Film bescheinigte, nicht zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgefordert zu haben. Im Revisionsprozess ein Jahr später dagegen wurde „Jud Süß“ vom Gericht zwar als klar antisemitisch eingestuft, Harlan aber ein innerer Befehlsnotstand zugestanden. Auch die skandalöse Biographie des Vorsitzenden Richters im ersten Prozess, Walter Tyrolf, kommt zu kurz: Tyrolf war während der NS-Zeit Staatsanwalt am Sondergericht Hamburg hatte und in mehreren Bagatellfällen für die Todesstrafe plädiert, die dann auch vollstreckt wurde. Das Ende 1950 eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde eingestellt – mangels Tatverdachts. Auch das war und ist exemplarisch für die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit: Nach 1945 wurde kein einziger NS-Jurist wegen seiner Vergangenheit von deutschen Gerichten verurteilt.

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