piwik no script img

Film noir ganz ohne Femme fatale

Nach dem letztjährigen „O Brother Where Art Thou“ ein weiterer Titel, der in keine Unterüberschrift passt: Das Hamburger Filmfest zeigt Joel und Ethan Coens „The Man Who Wasn't There“  ■ Von Tim Gallwitz

Die Filmwerkstatt der Coen-Brüder gleicht einem Webstuhl, der allerlei Fäden aus dem Mantel der Filmgeschichte aufribbelt, um sie hernach neu verknüpft auszuspu-cken. Dass sie mit diesem Verfahren keine Konfektionsware oder plumpes Zitatpatchwork abliefern, haben Joel und Ethan Coen hinlänglich bewiesen. Ganz im Gegenteil gelingt es ihnen, die Fäden so scharfsinnig, gewitzt und ironisch zu verweben, dass ein wunderbarer Teppich dabei herauskommt. Den Spuren dieser Fäden gehen nerdige Fans, eifrige Filmstudenten und beflissene Journalisten mit solchem Enthusiasmus nach, dass Ethan Coen angesichts all der ihnen regelmäßig zugeschickten Briefe, Essays und Analysen erklärte: „We make the movies – then we get the homework.“

Ihr neuester Film, der schon mal auf dem Filmfest zu sehen ist, wird die Hausaufgaben nicht weniger werden lassen. Denn mit The Man Who Wasn't There haben sie diesmal ein Film noir-Muster geknüpft, dessen Design wie üblich perfekt und Struktur wie gewohnt voll von Anspielungen und Verweisen ist. Wäre The Man Who Wasn't There nicht schwarzweiß, so wäre der Faden James M. Cain gewiss der rote. Es sind Cains (The Postman Always Rings Twice) hardboiled Kriminalstorys mit ihren ironischen Wendungen, die den Teppich dieses Dominotheorie-Thrillers zusammenhalten.

Ein kalifornisches Nest anno 1949: Friseur Ed Crane (Billy Bob Thornton mit einer großartig reduzierten Vorstellung) führt ein durchschnittliches, dürftiges Da-sein. Im Salon des Schwagers schneidet er tagein, tagaus diese vielen Haare, die doch immerzu nachwachsen. Seine Frau Doris (Frances McDormand) schläft derweil mit ihrem Chef Big Dave. Aus diesem Verhältnis erpresst Ed sich sein Stück Zukunft und investiert Big Daves 10.000 Dollar in die Branche von morgen: Trockenreinigung heißt sein kleiner amerikanischer Traum, der doch als griechische Tragödie endet. Einmal nur gibt Ed seinem Leben einen Stoß – und löst schon eine Kettenreaktion aus, die ihm völlig außer Kontrolle gerät. Im Auge des Wirbelsturms der Ereignisse steht dann er, der mehr Zigaretten raucht denn Worte oder Gesten macht, mit stoischer Passivität. Ein passives Ausgeliefertsein, das durch Eds Ich-Erzählung aus dem Off noch verstärkt wird.

Gehen wir in einen Film noir hinein, kommen wir aus einer schwarzen Komödie heraus. Denn die düstere Fatalität der Film noir-Folie erfährt hier andauernden Widerspruch durch die weiche Schönheit der Oberfläche und den sich stetig steigernden Humor. Kameramann Roger Deakins filmte mit Farbmaterial, von dem Schwarzweißkopien gezogen wurden. Die feinere Körnung des farbigen Materials und die diffuse Ausleuchtung dementiert die kontrastreichen Noir-Vorbilder mit einer Art Soft-Schwarzweiß.

Und wie die harten Schatten verwischen auch die Rollenstereotype der Schwarzen Serie. Eds Frau entspricht so gar nicht dem Modell der Femme fatale: Sie ist eine Frau, die dem Leben nur etwas Lust abzutrotzen versucht – eine „lovable bitch“, wie McDormand selbst es nennt. Und das Klavier spielende Nachbarmädchen Birdy (Scarlett Johansson), dem Ed in platonischer Liebe verfallen ist, entpuppt sich als Fellatio-erfahrenes Rollergirl. Allein Scarlett Johanssons (auch am 30.9. auf dem Filmfest in Ghost World zu bewundern) rauer Stimme wegen wäre schon jede deutsche Synchronisation zu untersagen.

Mit den Auftritten von zwei Anwälten, Marke lallender Feierabendsäufer und eitler Courtroom-Schauspieler, stellen die Coens ihre Gabe unter Beweis, aus alltäglichen Situationen wie absurden Konstruktionen gleichermaßen ihren feinen Humor zu destillieren. Und das Brüderpaar unterläuft souverän alle Versuche, sie ernster zu nehmen, als sie selbst es tun. Das lässt einen beschwingt zurück und gehört zum Besten, was das magere Kinojahr bislang hergab. Und der etwas dick aufgetragene Arthouse-Chic der polierten Schwarzweiß-Oberfläche geht als lässliches Overstatement durch.

heute, 22.30 Uhr, Abaton + So, 30.9., 19.45 Uhr, Zeise

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen