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Von Millionären und Teddybären

■ Die Galerie Reinfeld präsentiert Zeichnungen des englischen Ausnahmekünstlers Kevin Coyne. Der Musiker kommt am Sonntag zum Konzert nach Radio Bremen

Seit mehr als 30 Jahren gilt der englische Musiker, Maler, Dichter, Schauspieler und Musical-Komponist Kevin Coyne als Geheimtip der internationalen Szene, der seine Arbeit unbeirrt und fernab kommerzieller Zugeständnisse entwickelt und zur Reife gebracht hat. Er setzte als Interpret Maßstäbe, die von vielen Sangeskollegen nicht im Ansatz erreicht worden sind. Der kraushaarige, wie er selbst sich nennt, „little fat boy“, verkörpert auf der Bühne authentisch den noch unvereinnahmten Künstler, der den Alptraum besingt, in einem Zimmer voller goldener Schallplatten aufzuwachen. Zwischen nüchternem Realismus und zynischer Gesellschaftssatire, aber auch hoffnungsloser Romantik und düsterer Melancholie sind seine Lieder grob einzuordnen. Coyne setzt in seinen Liedern den gesellschaftlichen Außenseitern, den Sonderlingen und Verlierern ein liebevolles Denkmal ohne sich in sentimentalen Klischees zu verlieren. Die Figuren seiner Songs sind die Weisen und Narren, Millionäre, Melancholiker, abgehalfterte Rockstars, Kinder und immer wieder unzählige Teddybären.

Und so kennen und schätzen ihn offensichtlich viele Besucher der Ausstellungseröffnung in der Galerie Reinfeld. Aber Kevin Coyne als Maler?

Dabei ist er keineswegs ein Gelegenheitsmaler, schließlich beginnt sein beruflicher Werdegang ursprünglich mit einem Studium an der Kunsthochschule in Derby, wo er zwischen 1961 und1965 Graphik und Freie Kunst studiert. Doch nach seinem Abschluß arbeitet Coyne zunächst einige Jahre als Therapeut in einer psychiatrischen Klinik und später als Sozialarbeiter im Londoner Stadtteil Soho, wo er arbeitslose Alkoholiker betreut. Coyne erinnert sich an die oftmals obskuren und tragischen Begegnungen auf der Straße und an abendliche Anrufe vom Leichenschauhaus, wo er Menschen identifizieren musste, mit denen er erst kurz vorher Freundschaft geschlossen hatte.

Diese Eindrücke sind nicht nur seinen Songs, sondern letztlich auch seinen Bildern eingeschrieben. „Der Umgang mit sogenannten Verrückten“ so wird Coyne im Faltblatt zur Ausstellung zitiert, „hat meine Arbeit sehr beeinflußt. Ich fand es immer sehr erstaunlich, wie kreativ diese Leute sind, wenn man sie nur dazu ermuntert.“

Ende der 70er Jahre verdüstert sich die Musik des Künstlers spürbar und Coyne rechnet mit dem etablierten Kulturbetrieb ab, der ihm noch immer die Anerkennung verweigert. Bei einem Auftritt 1981 in Berlin kündigt er das Stück „Der Tod Ludwig van Beethovens“ an, bellt und keucht daraufhin 15 Sekunden lang ins Mikrophon, um sich dann betont höflich für den ausbleibenden Applaus zu bedanken. Aber der wechselhafte Erfolg und familiäre Probleme stürzen Coyne in eine Krise. Er verlegt Mitte der 80er Jahre seinen Wohnsitz nach Nürnberg und probiert einen Neuanfang, er schreibt Gedichte und Kurzgeschichten und: er zeichnet und stellt aus. Doch die Themen seiner Arbeit bleiben die gleichen. Zusätzlich zeigt er mit schonungsloser Offenheit seine vernarbte Seele: „Meine Bilder und Zeichnungen“ so kommentierte Coyne, „sind der Versuch, das Alltagsleben widerzuspiegeln. Wenn ich durch die Straßen gehe, sehe ich so vieles, das mir Ideen und Motive liefert. Die Gesichter der Menschen zum Beispiel, die Freude, die Traurigkeit, Alter und Einsamkeit, die kleinen Zwischenfälle und nicht zu vergessen der Humor. All das beobachte ich und bringe es zu Papier.“

Coynes Zeichnungen haben den Charakter von Comics oder Cartoons. Mit ihrer stark vereinfachenden Darstellungsweise bewegen sie sich jenseits stilistischer Festlegungen und verweigern sich künstlerischem Innovationsdrang. Statt dessen fächern sie vor dem Betrachter bisweilen karikierend eine ureigene Welt auf:

Verzerrte Fratzen stammeln philosophische Weisheiten, Liebespaare werfen sich beckettsche Sätze an den Kopf oder pubertierende Teenager schlüpfen in die Rolle ihrer Rock n Roll-Idole. Die Zeichnungen verströmen aber auch immer wieder eine andere Stimmung, sie zeigen einen warmen, einfühlenden und mitfühlenden Blick auf den Menschen mit all seinen Fehlern, artikulieren sich bisweilen kindlich unverfälscht: „Eines der wichtigen Themen für mich ist die ,Kindheit'“, sagt Coyne, „vor allem ,Unschuld und Verletzlichkeit' im Gegensatz zu ,Macht und Kontrolle' der Erwachsenen sind Aspekte, die mich sehr beschäftigen. So zeigen viele meiner Arbeiten die Mühen des Erwachsenwerdens, den Wunsch frei zu sein, den ewigen Kampf zwischen Licht und Dunkel, wo am Ende doch das Lächerliche triumphiert.“

Detlef Stein

Ausstellung bis zum 6.Oktober, täglich geöffnet von 12 bis 18 Uhr. Den Sänger Kevin Coyne präsentieren Radio Bremen und die Galerie Reinfeld am Sonntag, den 30. September um 21 Uhr im Sendesaal von Radio Bremen

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