: Bürgerwehr gegen law and order
Eine Allianz aus Bürgerrechtlern und erzkonservativen Lobbyisten bremst radikale Pläne, mit denen die Bush-Administration den Terror bekämpfen will
aus New York ANDREA BÖHM
Er hatte sich das einfacher vorgestellt. Als Justizminister John Ashcroft Anfang der Woche seinen Entwurf eines Anti-Terrorismus-Gesetzes in den Justizausschüssen im Kongress vorlegte, rechnete er mit dem patriotischen „Jawohl“ eines Parlaments, das keine Parteien mehr kennt.
Doch gut zwei Wochen nach den Angriffen auf New York und Washington haben die Volksvertreter zum ersten Mal klar gemacht, dass die geschlossene Unterstützung des Parlaments für George Bushs „Krieg gegen den Terrorismus“ Grenzen kennt. Unlimitierte Inhaftierung von Immigranten bei vagem Terrorismusverdacht, Demontage des Schutzes vor willkürlichen Hausdurchsuchungen, Abhörmaßnahmen ohne richterliche Kontrolle – all das geht Abgeordneten aus den Reihen der Demokraten und auch der Republikaner zu weit.
Die Freiheitskoalition
Widerstand gibt es nicht nur im Parlament: 127 Interessengruppen haben sich zur „Koalition zur Verteidigung der Freiheit“ zusammengeschlossen und das Parlament davor gewarnt, unter dem Banner der Terrorismusbekämpfung die Grundrechte auszuhöhlen. Was an dem Bündnis überrascht, ist seine Bandbreite. Unterzeichnet haben Menschen-und Bürgerrechtsgruppen wie amnesty international und die „American Civil Liberties Union“ (ACLU), zahlreiche muslimische und christliche Gemeinschaften, Vereine zum Daten- und Verbraucherschutz, Gewerkschaften und auch die rechte Waffenbesitzerlobby „Gunowners of America“. Die illustre Runde vervollständigen erzkonservative Gruppen wie das „Eagle Forum“ und die einflussreichen „Americans For Tax Reform“. Letzteren hatte Präsident George W. Bush noch im Wahlkampf versprochen, den Bundesstaat so weit wie möglich aus dem Leben der Bürger zu verbannen. Nach dem 11. September sehen die Lobbyisten nun einen Präsidenten, der wie wohl keiner vor ihm die Zentralmacht Washingtons ausbauen wird.
Gegen einige Passagen in Justizminister Ashcrofts „Anti-Terrorismus“-Paket erhebt zunächst noch niemand Einwände: Gerichtliche Anträge auf elektronische Überwachung von Verdächtigen sollen nicht nur in einzelnen Bundesstaaten, sondern im ganzen Land gültig sein. Auch sollen Ermittler in Zukunft eine personenbezogene Überwachungserlaubnis erhalten – also nicht mehr für jedes einzelne Kommunikationsgerät des Verdächtigen einen gerichtlichen Antrag auf Überwachung stellen müssen.
Gleichzeitig will Ashcroft aber die richterliche Kontrolle bei Lauschangriffen massiv einschränken – und nach Lektüre von „Section 352“ des Entwurfs kommt den Bürgerrechtlern endgültig das kalte Grausen: Ermittler sollen in Zukunft Hausdurchsuchungen ohne Wissen und in Abwesenheit des Verdächtigen vornehmen und den Betreffenden erst drei Monate später in Kenntnis setzen dürfen. Damit wird die Sicherheit der Wohnung und der Schutz vor willkürlicher Durchsuchung – garantiert im vierten Zusatzartikel der US-Verfassung – außer Kraft gesetzt. Eine legitime Maßnahme gegen Terroristen vom Kaliber der Attentäter des 11. September? Vielleicht. Aber die Bush-Regierung möchte dieses Grundrecht nicht nur bei Verdacht auf terroristische Aktivitäten, sondern gleich bei allen Strafermittlungen aufgehoben wissen. „Die ganze Passage streichen“, empfahl Rachel King, Rechtsexpertin der ACLU.
Nach Ashcrofts Wünschen sollen auch Verjährungsfristen für terroristische Akte aufgehoben werden. Jede Straftat in Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten soll die Justiz mit lebenslangem Freiheitsentzug ahnden können. Jede Person, die mit einem Angeklagten verkehrt hat, könnte zum Objekt von Observationen und Ermittlungen werden. Unter dem Schock des 11. September würden das einige im Kongress unterschreiben. Doch Rachel King warnt vor den Auswirkungen: „Die Definition von Terrorismus ist bereits nach geltendem Recht so breit, dass bestimmte Akte des zivilen Ungehorsams darunter fallen.“ Es sei sehr wohl möglich, dass die geplanten Verschärfungen gegen Demonstranten eingesetzt würden, die bei einer Protestaktion gegen die Weltbank irgendwo Scheiben einwerfen.
Am meisten empören sich Senatoren und Abgeordnete über Ashcrofts Forderung, Immigranten auf unbegrenzte Zeit in Haft zu halten. Ausreichend wäre ein vom Justizministerium beglaubigter „Terrorismusverdacht“ – ohne Beweisvorlage und ohne richterliche Überprüfung. „Der Justizminister möchte einen Blankoscheck für die Verhängung lebenslanger Untersuchungshaft“, protestierte der demokratische Abgeordnete Jerrold Nadler. Als Ashcroft im Justizausschuss des Senats auf ähnlichen Widerstand stieß, ruderte er zurück: Nun soll die ewige U-Haft „nur“ noch gegen illegale Immigranten angewandt werden.
Mitte dieser Woche stand jedenfalls fest: Im Schnellverfahren wird die US-Regierung keinen parlamentarischen Segen für ihr Vorhaben bekommen. Bis zum 5. Oktober müsse das Gesetz abgesegnet sein, hatte Vizepräsident Dick Cheney von den republikanischen Senatoren gefordert. Doch entweder müssen die strittigen Passagen abgetrennt und zurückgestellt werden – oder der Kongress wird sich ein paar Wochen lang mit dem Paket befassen.
An das Wespennest der Waffenlobby hat sich die Bush-Administration bislang nicht herangewagt. Aufgrund von Schlupflöchern in den geltenden Gesetzen könnten sich Terroristen ohne den so genannten background check auf Waffenshows mit allem eindecken, was der freie Markt an Schusswaffen hergibt – inklusive des legalen Bausatzes, mit dem erlaubte halbautomatische Gewehre sich in illegale Maschinengewehre umbauen lassen. Das sei ein „unhaltbarer Zustand“, erklärte nicht irgendein Demokrat, sondern der republikanische Senator John McCain, einstiger Konkurrent Bushs um die Präsidentschaftskandidatur.
Albtraum „smart card“
Abgesehen von dieser Fortsetzung der ewigen Kontroverse über das Recht des Amerikaners auf sein privates Arsenal steht dem Land eine Debatte über die Einführung einer fälschungssicheren Identitätskarte bevor. So genannte smart cards mit digitalen Fingerabdrücken, die auf Computerchips Daten über Vorstrafenregister, Aufenthaltsorte oder finanzielle Transaktionen ihres Inhabers speichern, sind der Traum von Sicherheitsexperten – und der Albtraum unzähliger Amerikaner. Schließlich sähen schon viele mit der Einführung einer Meldepflicht ihre ureigenste Freiheit bedroht. Da hat ein Bundesgesetz zur Einführung einer smart card auf absehbare Zeit wohl keine Chance. Doch in der Privatwirtschaft werden solche Sicherheitsvorkehrungen bald zum Alltag gehören.
„Was immer vorgeschlagen wird, müssen wir ruhig und gründlich in Betracht ziehen“, heißt es in einer Zehn-Punkte-Deklaration der „Koalition zum Schutz der Freiheit“: „Wir müssen entschlossen sein, die Rechte und Freiheiten zu schützen, die dem American Way of Life zugrunde liegen – und wir sollten allen Bestrebungen widerstehen, Menschen aufgrund ihrer Rasse, Religion, ethnischen Abstammung oder ihres Aussehens zur Zielscheibe zu machen.“
Der letzte Absatz ist schon jetzt Makulatur. Racial profiling, die gezielte Observation, Durchsuchung und Überwachung von Angehörigen einer ethnischen Gruppe, ist seit dem 11. September Bestandteil der Ermittlungsarbeit und der verschärften Sicherheitsvorkehrungen. Die Betroffenen sind vor allem Männer arabischer Herkunft oder mit arabischem Aussehen. Sie werden an Flughäfen doppelt scharf kontrolliert, an Kontrollstellen garantiert herausgewunken und am Zutritt zu bestimmten Gebäuden gehindert.
Dass racial profiling die Grundrechte des Betroffenen verletzt, haben Gerichte in einzelnen Fällen eingeräumt, als es noch um den Umgang der Polizei mit afroamerikanischen Männern ging. Nach den Terroranschlägen von New York und Washington, erklärte der Rechtsexperte und Harvard-Professor Randall Kennedy in der New York Times, werde man kaum noch Richter finden, die racial profiling gegen arabischstämmige Amerikaner oder arabische Immigranten beanstanden würden.
Wie weit würde der Staat noch gehen, sollte es zu weiteren Anschlägen kommen? Dass arabischstämmige Amerikaner und Immigranten wie einst die Japanoamerikaner im Zweiten Weltkrieg interniert werden könnten, halten Rechtsexperten für ausgeschlossen. Anders als damals würde der Oberste Gerichtshof eine solche Maßnahme nicht zulassen.
Ewige U-Haft
Doch John Ashcrofts Versuch, die lebenslange Untersuchungshaft durch den Kongress zu bringen, hat unter Bürgerrechtlern genug Entsetzen ausgelöst – ganz zu schweigen von der Bevölkerungsgruppe der „Arab-Americans“. Die sehen sich auf Jahre hinaus in einer wahrhaft schizophrenen Situation: Auf der einen Seite hören sie vom Präsidenten höchstselbst, von Gouverneuren, Bürgermeistern und anderen Prominenten Bekenntnisse zur Toleranz. Auf der anderen Seite werden sie gebeten, auf Jahre hinaus ihre Diskriminierung in Kauf zu nehmen.
Entsprechend ratlos trat letztes Wochenende der Generalstaatsanwalt von New Jersey, John Farmer, bei einer Veranstaltung des „Arab-American Institute“ in Newark auf. „Natürlich ist das Fahndungsnetz zu eng geknüpft“, gab Farmer vor den 200 Zuhörern zu und entschuldigte sich gewissermaßen prophylaktisch für die unabdingbare Diskriminierung. Wie zur Beruhigung versicherte der Staatsanwalt: „Aber lassen Sie es meine Behörde wissen, wenn Polizisten sich nicht anständig benehmen.“
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