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SPD kann sich nicht mehr leiden

Sozialdemokraten machen nach der Wahlschlappe in Selbstkritik. Jusos halten Oppositionschef Ortwin Runde für „falsches Signal“  ■ Von Peter Ahrens

Andrea Hilgers, die parlamentarische Fraktions-Geschäftsführerin, ist „froh, dass sich der Weihrauch langsam verzieht“. Und die Bürgerschaftsabgeordnete Britta Ernst sagt: „Ich freue mich, dass nichts mehr schöngeredet wird.“ Die SPD geht auf Entdeckungsreise und lernt ihr unbekannte Dinge kennen: Zum Beispiel die Fähigkeit, Fehler der eigenen Partei öffentlich zu benennen. Was sich bislang nur die Jusos ab und an verschämt trauten, zählt nach der Abwahl der sozialdemokratischen Dauerherrschaft offenbar zum guten Ton. Auf dem Parteitag am Freitag Abend im Bürgerhaus Wilhelmsburg war all denen Applaus gewiss, die selbstgeißelnde Bemerkungen in ihre Redebeiträge einstreuten.

„Unsere Grundhaltung ist als ungeheure Selbstgefälligkeit wahrgenommen worden“, stellte Ernst fest, Hilgers diagnostizierte „falsch verstandene Disziplin und exekutive Arroganz“, und der scheidende Wirtschaftssenator Thomas Mirow glaubt, dass „uns viele nur noch mit zusammengebissenen Zähnen gewählt haben, um Schill zu verhindern“. Die 36,5 Prozent, die der SPD jetzt ihre Stimme gaben, seien „nicht die Untergrenze der für die SPD Erreichbaren“, mahnte Mirow: „Ich fürchte, das ist im Moment die Obergrenze.“

Und er war der, der den größten Beifall einheimste, als er darauf hinwies, „dass man die Debatten in der Bürgerschaft eben nicht mit der Realität in der Stadt verwechseln darf“. Mirow warf dem Senat, dem er seit acht Jahren angehört, Versäumnisse bei der Bildungspolitik vor – „viele Eltern in Hamburg machen sich Sorgen, ob ihre Kinder so ausgebildet werden wie in Bayern und anderswo“ – und machte keinen Hehl daraus, dass er eine Koalition seiner Partei mit FDP oder CDU gutgeheißen hätte: „Wir müssen denen in den so genannten bürgerlichen Kreisen, die Zweifel an Schill haben, deutlich machen: Die vernünftige Alternative steht hier.“ Mirow werden Ambitionen auf ein Senatsamt in einer eventuellen Ampel-Koalition in Berlin nachgesagt – seine Chancen darauf hat er mit seiner Rede nicht geschmälert.

Kritik anderer Art an der real existierenden Hamburger SPD kommt von den JungsozialistInnen. „Ich bin nicht sicher, ob die Partei wirklich etwas aus der Abwahl gelernt hat“, macht der stellvertretende Landesvorstandssprecher Tim Stoberock aus seiner Skepsis keinen Hehl. So sei es „ein absolut falsches Zeichen“, den abgewählten Bürgermeister Ortwin Runde nun als Oppositionschef zu installieren, „nach dem Motto: The Show must go on“. Er habe den Verdacht, dass „jetzt viele Posten eher nach vergangenen Verdiensten vergeben“ würden, als die Partei für die Zukunft auszurichten: „Die künftige Fraktion ist sogar älter als die vergangene.“

Juso-Vorsitzender Michael Schaaf übte vor allem Kritik an dem Kurs von Landeschef Olaf Scholz, der als Innensenator mit seiner Politik der harten Hand „Schill nicht geschwächt, sondern gestärkt“ habe: „Einen solchen Populismus wie dem von Schill kommt man nicht bei, indem man ihm Recht gibt.“

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