atom im hirn:
von RALF SOTSCHECK
Man muss nicht besonders gescheit sein, wenn man Politiker werden will, das ist bekannt. Dass man es aber mit hochgradiger Unfähigkeit zum Staatssekretär im Energieministerium bringt, ist ungewöhnlich, in Irland aber durchaus möglich. Aufgrund der Anschläge in den USA hielt Joe Jacob es für angebracht, die Bevölkerung in Hinblick auf die Gefahr einer Atomkatastrophe zu beruhigen. Er erreichte mit seinem Radiointerview genau das Gegenteil.
Welche Vorsorge die Regierung denn getroffen habe, falls die britische Plutoniumschleuder Sellafield auf der anderen Seite der Irischen See hochgehen sollte, wollte Moderatorin Marian Finucane wissen. „Wir werden Flugblätter verteilen“, antwortete Jacob stolz. Allerdings würde das zwei Wochen dauern. Aber man würde von einem Unfall sofort Wind bekommen, da die britische Regierung in einem solchen Fall sofort in Dublin Bescheid sagen würde. In der Vergangenheit habe die Londoner Regierung einen Teufel getan und solche Unfälle systematisch verschleiert, wandte Finucane ein. „Ja, aber jetzt gibt es bilaterale Vereinbarungen über Frühwarnungen bei Atomkatastrophen“, sagte Jacob. Bilateral? Irland hat doch gar keine Atomanlagen.
„Nun sind bereits acht Minuten vergangen, seit wir den GAU angenommen haben“, meinte Finucane, „und Sie haben mir noch immer nicht erklärt, was ich tun soll.“ Das würde alles in dem Flugblatt stehen, antwortete Jacob ungeduldig. Ob er eventuell den Inhalt andeuten könnte? „Natürlich“, sagte Jacob. „Die Leute sollen zu Hause bleiben, die Fenster schließen und Jodtabletten nehmen. Wir werden Ausgabestellen einrichten.“ Dann muss man also doch das Haus verlassen? „Aber nur kurz.“ Es gibt aber gar keine Jodtabletten in Irland. 1988, nach Tschernobyl, hatten die Gesundheitsämter einen Vorrat angelegt, aber weil das Haltbarkeitsdatum längst überschritten war, hat man die Tabletten weggeworfen.
Die meisten Hörer vermuteten inzwischen, dass es sich bei dem Interview um Satire handelte. Viele riefen an. „Wenn dies das beste Frühwarnsystem ist, das unsere Politiker vorlegen können“, sagte einer, „dann sitzen wir in der Tinte.“ Ein anderer drückte es deutlicher aus: „Die Antwort der Regierung auf einen Unfall ist, dass man seinen Kopf zwischen die Beine steckt und seinem Arsch einen Abschiedskuss gibt.“
Wenigstens in Hinblick auf einen Angriff mit biologischen Waffen wollte Jacob die Leute nun beruhigen: „Es ist höchst unwahrscheinlich“ sagte er, „dass eine kleine Atommacht wie Irland angegriffen wird.“ Nach einer Pause: „Oh, Verzeihung. Ich habe wohl Atom im Hirn. Ein kleines neutrales Land, wollte ich sagen. Wir dürfen jetzt nicht in Panik verfallen.“ Am Tag nach der Radiosendung waren die Gasmasken im ganzen Land ausverkauft.
Die Opposition verlangte Jacobs Rücktritt wegen erschütternder Inkompetenz. Gesundheitsminister Michael Martin verteidigte seinen Kollegen: „Wenn jemand wegen eines Radiointerviews zurücktreten müsste“, sagte er, „dann wären wir alle weg vom Fenster.“ Schön wär’s.
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