: Medienkunst verarbeitet Amerika-Tragödie
■ Im Oldenburger Edith-Russ-Haus stellen vier amerikanische KünstlerInnen aus. Victoria Vesna verbindet die Emotionen nach der Katastrophe in ihrer Heimat mit moderner Technik. Eine High-Tech-Performance zum Mitmachen
Rosanne Altstadt, Leiterin des Oldenburger Edith-Russ-Hauses für Medienkunst, ist Amerikanerin. Am elften September baute sie mit der gerade aus den USA eingetroffenen kalifornischen Künstlerin Victoria Vesna deren Beitrag für die aktuelle Ausstellung „Avatare und andere“ auf. Die Ereignisse in New York wurden also zum Impuls für andere Bilder, andere Fragen in der Performance-Arbeit der US-Künstlerin. Insgesamt vier Künstler aus Amerika stellen in dieser Gemeinschaftssausstellung aus. Neben Victoria Vesna präsentierten Lynn Hershman, Dan Graham, Kristin Lucas und Markus Huemer jüngste Arbeiten aus.
Ausstellungsleiterin Rosanne Altstadt konnte indes ihre Stimme kaum beherrschen, als sie die ersten Ergebnisse des Work-in-Progress der Öffentlichkeit vorstellte, Tränen stiegen ihr immer wieder in die Augen, der Kloß im Hals war deutlich sichtbar. Derweil flimmerten an die Wand projizierte Fragen Victoria Vesnas auf, die in der Eröffnungsperformance vom Vernissagenpublikum via Handy erörtert werden sollten: “Wie wird dieses Ereignis ihre Selbstwahrnehmung verändern?“ – „Meinen sie, dass es zu einem dritten Weltkrieg kommt?“ – „Hallo, hier ist Christiane...“ – „Ist ja schön, so aktiv teilzunehmen“ – „Ich hab ja gar keine Vorstellung“ – “wenn das zu massiv wird“. Wortknäuel, Beklommenheiten.
Die Illusion unserer Fernkommunikation – zum empfangenen Impuls gehöre ja gar kein Körper, oder einer, der beliebig vorstellbar ist; zum Gesagten oder auf dem Bildschirm zu Lesenden, gehöre gar keine Emotion, kein Gesicht, sondern eine beliebige Konstruktion aus dem eigenen Vorrat an Projektionen – dieses Konstrukt der Handy-, SMS- und Netzidentitäten wird hier einerseits genutzt, zumindest technisch. Andererseits wird sie von der räumlichen Nähe und dem daraus entstehenden Blicckontakt beseitigt und damit in seiner Bedingtheit entlarvt. Und das unter dem Eindruck der New Yorker Attacke.
Victoria Vesna aber blieb dabei nicht stehen. Im Untergeschoss hat sie einen Raum installiert, in dem sich zwei aufgepannte Wände aus Leinen gegenüberstehen. Die Künstlerin projiziert darauf Schwarz-Weiß-Bilder des Anschlags, verflimmert, vergröbert, wodurch sie zum Teil etwas Malerisches erhalten oder auch wie Aufnahmen aus dem zweiten Weltkrieg wirken. An einer Wand dieser Box tauchen wiederum die Fragen auf und eine Nummer, bei der man per Handy anrufen, sein Statement abgeben und Antworten anderer Besucher abrufen kann. Und plötzlich stehe ich selbst in diesem Film; mein Gesicht, wie ich telephoniere und schreibe, flimmert auf der Leinwand. Ein Flugzeug stürzt hinter meinem Kopf in den Wolkenkratzer; ich sehe zu, unbekümmerte Passantin. Eine kleine Videokamera in dieser Box projiziert die Bilder zeitversetzt.
Eine berührende Arbeit, die das Vernetzt-Sein im globalisiert digitalen Zeitalter mit allen gegenseitigen Abhängigkeiten thematisiert. Und die sind – das macht diese Kunst deutlich – in ihrer technischen Vermitteltheit größer geworden, während absurderweise zugleich das Bild des Gegenübers, der wirkliche Kontakt in diesen Prozessen, ausgeblendet wird.
„Avatare“ sind Schein- und Ersatzidentitäten im virtuellen Spiel. Ursprünglich stammt der Begriff aus dem Hindi und bezeichnet die Inkarnation eines Gottes. Tatsächlich erinnern die ornamentalen Bemalungen der großformatigen Photoselbstportraits von Lynn Hershman an indisch-orientalische Kulte. Schon in den Siebziger Jahren kreierte die heutige Professorin an der Univesity of California sich zur Roberta Breitmore um. Die Selbstportraits spielen mit dieser Figur, die Bearbeitungen sind zugleich malerisch komponiert. Tatsächlich hat Lynn Hershman auch als Roberta Breitmore gelebt und bei einer Bank Kredit bekommen. Hier nun sehen wir Röntgenaufnahmen ihres Gebisses – eines zweifelfreien Identitätszeugnisses – über einer Aufnahme ihres Konterfeis mit wundervollen Jacketkronen. Frage: was stimmt? Und was passiert mit unserer Wahrnehmung in diesem Ersatzteillager, wie hängen Zeichen und Bezeichnetes überhaupt noch zusammen? Der Mensch in seiner ursprünglichen Identität geht auf im „Antibody“ (Photobearbeitung, 2000) einer hochaufgelösten Digitalbearbeitung des Selbstbildes. Go, Cyber, go.
Marijke Gerwin
Bis 4. November im Edith Russ-Haus, Katharinenstraße 23 in Oldenburg. Öffnungszeiten: Di-Fr 14-17 Uhr, Sa+So 11-17 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen