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Valium-Sucht auf Rezept?

■ Uni Bremen hat die Datenbestände einer Ersatzkasse durchforstet und den ersten Arzneimittel-Report erstellt / Ärzte verschreiben zu viel, zu schnell und zu unkritisch – und dosieren zu hoch

Rasterfahndung wollte er das eigentlich nicht mehr nennen. Im Grunde ist es aber nichts anderes, was Gerd Glaeske vom Bremer Zentrum für Sozialpolitik mit den Datenbeständen der Gmünder Ersatzkasse (GEK) angestellt hat: Zwei Jahre lang hat er rund 20 Millionen Rezepte hin durchforstet. Heraus kam jetzt der erste Arzneimittel-Report einer einzelnen Krankenkasse. Und die Erkenntnis, dass die bunten Pillen aus der Apotheke nicht nur helfen. Sondern manchmal einen ganz beträchtlichen Schaden anrichten.

Klar, Krankenkassen müssen sparen. Auch die GEK, wenn sie den Arnzeimittelgebrauch ihrer 1,4 Millionen Mitglieder unter strengen Datenschutz-Auflagen en detail analysieren lässt. Schließlich verbraucht jeder Bundesdeutsche inzwischen pro Jahr rund 20 Pa-ckungen Pillen (für rund 600 Mark), und Jugendliche kriegen schon Tabletten gegen die Angst vor der Matheklausur. Die Folgen: Nicht nur explodierende Kosten bei den Kassen. Sondern auch die Sucht nach mehr Pillen bei den Patienten.

„Einige Ärzte verschreiben zu viel, zu schnell und zu unkritisch“, hat der Pharmakologe Glaeske festgestellt. Da rufen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten neue Probleme hervor, die wiederum medikamentös und teuer behandelt werden müssen. „Hätten die Ärzte die Beipackzettel gelesen, wäre das nicht passiert.“

Nächstes Beispiel: Zu hohe Dosierungen. Vor allem bei Mitteln aus der Valium-Familie werden in Portionen verschrieben, die „mit Therapien nicht mehr viel zu tun haben, sondern nur mit dem Aufrechterhalten der Sucht“, so Glaesgen. Manchmal sorgten die Schlafmittelrationen gerade bei älteren Frauen noch am anderen Morgen für eine eingeschränkte Reaktionsfähigkeit. Dann folgten Stürze, Unfälle, Oberschenkelhalsbrüche und weitere Kosten für die Kassen.

Zwar ist das Budget für Medikamente streng gedeckelt. Arzneien im Wert von 250 Millionen Mark pro Jahr dürfen Ärzte im Land Bremen verschreiben. Doch Beruhigungsmittel verursachen kaum Kos-ten und stehen deshalb kaum auf dem Sparindex. „Ich kann sie für zehn Pfennig am Tag süchtig machen“, weiß Glaeske.

Trotz Überdosierung und ein Angebot von rund 45.000 verschiedenen Medikamenten stieß Glaeske immer wieder auch auf eklatante „Unterversorgung mit wichtigen Arzneimitteln“. Wieder sind vor allem Frauen betroffen: Zwar erkranken Frauen viel häufiger an Diabetes als Männer, bekommen aber deutlich weniger Medikamente verschrieben. Offenbar würden Ärzte die Symptome falsch deuten.

„Sehr interessant“, findet Jürgen Grote, der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Bremen, den Report über das ärztliche Verschreibungsverhalten. Sollte sich herausstellen, dass auch Bremer Ärzte Beruhigungsmittel als Dauer-Verordnung verschreiben, „werden wir als KV das aufgreifen.“ Aber auch ein Arzneimittelpass, wie von der Gesundheitsministerin unlängst gefordert, könnte helfen, dass nicht Nerven- und Hausarzt ein Beruhigungsmittel verschreiben, ohne vom jeweils anderen Rezept zu wissen.

„Sparen ist für uns aber nur der zweite Grund für den Report“, stellt der GEK-Vorstandsvorsitzende, Dieter Hebel, gestern klar. Ganz vorne steht für ihn das „Qualitätsmanagement“. Oder: die Verhinderung von Extra-Kosten durch falsche Medikamentierung. Die GEK hat deshalb auch Termine mit Ärztekammern und Bundesgesundheitsministerin vereinbart, um Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

Außerdem wurde mit dem Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen jetzt ein Kooperationsvertrag für zehn Jahre geschlossen. Jedes Jahr soll ein neuer Report folgen – mit jeweils anderer Fragestellung. Man darf gespannt sein.

Dorothee Krumpipe

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