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Wärmflasche zum Löffeln

Was gibt es Schöneres als eine heiße, cremige Suppe? Nichts! Deshalb wenden wir uns an dieser Stelle einem kulinarischen Gegenstand zu, der mit der Bezeichnung „flüssiger Sex“ noch zurückhaltend beschrieben ist. Eine Hymne auf ein Zaubermittel zur kalten Jahreszeit

von MANFRED KRIENER

Fangen wir, wie es sich gehört, mit der Definition an. Eine Suppe ist „eine aus Flüssigem mit mehr oder weniger fester Einlage bestehende Warmspeise, die mit Löffeln gegessen wird“. So steht es im alten „Appetit-Lexikon“ von 1894.

Zugegeben: Diese Einleitung liest sich sehr nett, sagt aber nichts über das eigentliche Wesen und die Großartigkeit der Suppe. Unergiebig bleibt auch die Lektüre von Hervé This-Benckhard („Rätsel der Kochkunst“), der zwar tief in den Topf hinabsteigt, die Suppe dann aber auf den Zusammenstoß von Billardkugeln reduziert. Wir lesen von Trillionen rotierender Brühemolekülen, die mit der Hitzezufuhr immer schneller „in Zickzackbewegungen durcheinanderwimmeln“, schwere Kollisionen verursachen und als Wasserdampf entfleuchen. Immerhin verdanken wir dem Autor den Hinweis, dass der Topf beim Kochen einer guten Brühe „nur lächeln solle“, die Hitze also sanft geführt werden muss.

Der eigentliche Triumph der Suppe muss mit anderen Dingen zusammenhängen. Womöglich mit der Regression. Suppe ist die Nahrung des Kindes, sie führt uns Löffelchen für Löffelchen zurück in wohlige Zeiten. Sie gestattet uns zu schlürfen. Und unser Mahlwerk außer Kraft zu setzen und das, was da auf dem Löffel liegt, widerstandslos hinunterglitschen zu lassen. Schlurps! Nur Saugen und Schlucken. Pürierte Suppen bieten jene sämige Schlunzigkeit, die unmittelbar an Babybrei erinnern.

Zugleich ist die Suppe eine Wärmflasche von innen. Wer mag schon Tomatensalat essen, wenn das Islandtief in Stellung geht und das Robert-Koch-Institut zur Grippeschutzimpfung ruft. Suppentopf statt Suizid heißt die Alternative. Die Suppe wärmt, weckt Lebensgeister, macht Wangen rot, ist nördlich des 50. Breitengrades ganz einfach Grundnahrungsmittel. Natürlich könnten wir auch Tee trinken, um Wärme und Behaglichkeit zu tanken. Aber erst die Suppe verbindet Wärme mit Kalorien und manchen „Zungenergötzlichkeiten“. Jedenfalls: Suppen müssen knallheiß serviert werden.

Die Sache mit dem Löffel ist relativ neu. Suppe kommt vom Mittelhochdeutschen „supen“, und das heißt saufen und schlürfen. Über Jahrhunderte wurden Suppen aus Schalen und Töpfen getrunken, im Mittelalter süffelte man sie aus einem gemeinsamen Napf.

Als Löffelersatz diente häufig der ausgehöhlte Brotkanten. Womit wir auch schon bei der Brotsuppe wären, eine ebenso urtümliche wie köstliche Suppe. Eva Gesine Baur („Reichtum der einfachen Küche“) zitiert Gastrosophen des 18. Jahrhunderts: „Kräftige Fleischbrühe, siedend über geröstete Semmelscheiben gegossen, gibt eine gute Haussuppe, die selbst zum Frühstück und zur Erquickung kranker Personen sich vorteilhaft verwenden lässt.“

Dass ein ernsthafter Suppenkoch niemals mit Brühwürfel und Instantpulver hantiert, versteht sich von selbst: „Indes wird man durch keinen noch so künstlichen Zusatz je die Fehler einer schlechten Brühe gut machen können. Eine Fleischbrühe, welche nicht gehörig im Wallen erhalten, nicht aufmerksam geschäumt und gesalzen wurde, oder in welcher Kräuter und Wurzeln durch zu langes Kochen den besten Geschmack verdünstet haben, wird jederzeit einen schalen Geschmack behalten.“ (Baur)

Meißeln wir diesen Satz in unsere Küche und stopfen die Maggiknorrpansche in die Biotonne. Vernünftig kochen heißt nämlich zuerst: Fonds herstellen, also Brühen. Die einen bügeln sonntags ihre Unterhosen, andere kochen Brühe, setzen riesige Töpfe auf, lassen es blubbern, seihen ab, portionieren und frieren das flüssige Glück am Ende ein. Bis auf jenen halben Topf voll, der für die abendliche Griesklößchen-, Ochsenschwanz-, Kartoffel-, Linsen- oder Zwiebelsuppe, für Borschtsch oder Soljanka verwendet wird.

In dieser Reihung großer Suppen fehlt die Hühnersuppe. Nur: Hühnersuppe ist keine Suppe, sie ist ein therapeutisches Gericht, pure Arznei. Die jüdische und chinesische Küche haben das erkannt und empfehlen Hühnersuppe als omnipotentes Stärkungsmittel.

Hühnersuppe mit Fadennudeln, abgepultem Hühnerfleisch und Eierstich gehört zu den großartigsten Dingen unseres Universums. Sie hat eine vergleichbare Bedeutung wie die Sportschau, Sex und Steinpilzesuchen im sonnengefluteten Herbstwald. Hühnersuppe ist Weltklasse! Sie gelingt immer.

Der Gipfel ist eine Hühnersuppe vom superfetten bäuerlichen Freilaufhuhn, in dessen Eileiter sich noch viele unfertige donnergelbe Eierchen unterschiedlicher Größe befinden, die während der letzten Minuten obenauf mitköcheln und beim Servieren in der blumenbemalten Suppenterrine mit klein gehackter Petersilie diesen irrsinnigen Grün-Gelb-Kick geben. Hinreißend!

Natürlich ist die Suppe die Visitenkarte jedes Kochs. Meist eröffnet sie das Menü. Deshalb muss sie mit derselben Hingabe zubereitet sein, die ein Komponist auf die Ouvertüre verwendet. Sagt das Appetitlexikon. Wir sagen: Lassen Sie sich nicht in die Suppe spucken, picken Sie das Haar aus der Suppe, löffeln Sie sie aus, wie sie eingebrockt wurde, und essen Sie sie bitte mit großen, schweren Silberlöffeln.

Endlich: Es ist kalt in Deutschland. Wir dürfen wieder supen.

MANFRED KRIENER, 47, freier Journalist in Berlin, schreibt gern über Tuberkulose, Bevölkerungsexplosionen, Atommüll und andere multiple Nekrosen. Neuerdings Chefredakteur des Slow Food-Magazins

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