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Ein Alien in Hollywood

Keiner weiß so recht, ob und wen man noch lieben soll: Am Wochenende kam der Regisseur Richard Lester zur Eröffnung der ihm gewidmeten Werkschau im Babylon nach Berlin, um vom Beginn und Ende der 60er, der „Swinging Decade“, zu erzählen

VON TOBIAS RECKLING

Da war der Regisseur Richard Lester nun anläßlich seiner am Freitag begonnenen Werkschau extra nach Berlin gekommen, und schon am zweiten Tag ging kaum noch jemand hin. Das hatte er nun wirklich nicht verdient. Vielleicht hat es den gut gelaunten 68jährigen aber auch an alte Zeiten erinnert, als er am Samstag vor einem halbleeren Kinosaal im Babylon stand, um Anekdoten über die Entstehung seines Films „Petulia“ zu erzählen. Denn schon 1968, als der Film zum ersten Mal in die Kinos kam, wollte ihn niemand sehen.

Dabei war Richard Lester damals gerade auf dem Höhepunkt seiner Karriere, hatte er doch mit den Beatlesfilmen „A Hard Day’s Night“ und „Help!“ wahre Blockbuster gedreht, und 1965 für seine verschrobene Komödie über die sexuelle Befreiung „The Knack ... and How to Get it“ die Goldene Palme in Cannes gewonnen. Seine Filme galten und gelten noch immer als Spiegel einer ganzen Epoche: der „Swinging Sixties“. Er hatte das Lebensgefühl einer Generation eingefangen, die alles für möglich hielt, für die die Beatles so wichtig waren, weil sie die Grenzen des Möglichen auf bis dato ungeahnte Dimensionen ausweiteten.

Und gerade deshalb mußte „Petulia“ 1968, wie schon ein Jahr zuvor der skurrile Anti-Kriegsfilm „How I Won the War“ mit John Lennon in der Hauptrolle, scheitern. Es lag nicht daran, dass in der Woche des geplanten Kinostarts Kennedy erschossen wurde oder an den wegen der Maiunruhen abgesagten Aufführungen in Cannes und Paris. Vielmehr lag es daran, daß „Petulia“ zeigte, was aus den Hoffnungen und Erwartungen der sechziger Jahre geworden war. Mit Vietnam auf den Fernsehbildschirmen, den Grateful Dead und Janis Joplin live im Film geht es um die Folgen der sexuellen Befreiung, um gescheiterte Ehen und Liebschaften. Anhand der reichen Oberklasse San Franciscos deckt Lester auf, wohin der ‚Summer of Love‘, die Revolution gegen traditionelle gesellschaftliche Bezugspunkte geführt hatte. Keiner im Film weiß so recht, ob und wen man noch lieben soll. Am Schluss endet dann alles, wie die Sechziger selbst, in von Gewaltausbrüchen zerstörten Hoffnungen.

Darüber und wie es war, nach 15 Jahren in die USA zurück zu kehren sprach Richard Lester im Babylon mit einer merkwürdigen Mischung aus britischem und amerikanischem Akzent. Denn Lester, mit seinem skurilen Humor einer der britischsten Regisseure überhaupt, wurde in Philadelphia geboren. 1953 floh er, aus Abscheu vor der McCarthey-Ära, nach England, um von dort aus mit „A Hard Day’s Night“ die Schablone für das amerikanische Musikvideo zu erfinden.

Als er 1967 für „Petulia“ erstmals wieder in den USA arbeitete, fühlte er sich dort aber genauso wenig heimisch wie 1953. Dieses mal lag es jedoch nicht an den Nachwirkungen des McCarthynism, sondern an der Kommerzgier und dem Unverständis Hollywoods. Zufrieden, mit dem Publikum über seine eigenen Witze lachend, erzählte Lester, daß er für Warner Brothers „zu einem Fremden geworden“ war und nie wieder in den USA drehen wollte.

Nachdem er 1969 mit „The Bed Sitting Room“, einer surrealen Satire über England nach dem Abwurf der Atombombe, zum dritten Mal in Folge an den Kinokassen floppte, hatte man auch in Europa die Nase voll von seiner Vision der ausgehenden Sixties. Erst 1973 ließ man Lester mit Mainstream, wenn auch gutem (u.a. „Superman II“, „Robin and Marian“, „Butch and Sundance: The Early Years“), wieder in die Kinos zurück. Die 60er waren damit allerdings endgültig vorbei.

Noch bis zum 26.10. im Filmkunsthaus Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, Mitte. Am Mittwoch um 19 Uhr: „Petulia“

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