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Der Krieg der Worte

Ussama Bin Laden hat mit seinem Videoauftritt die mediale Bühne betreten. Nun hat George W. Bush einen Gegner, der sich zu seinen Zielen bekennt

von STEFAN REINECKE

Seit vorgestern Abend kann man, mit mehr Recht als zuvor, von einem Krieg reden. In Kabul und Kandahar sind Raketen explodiert, eine militärische Aktion. Doch ebenso wesentlich ist, dass wir seit vorgestern Abend wissen, wer wen warum bekämpft. Wir können heute von einem Krieg reden, weil mit George W. Bushs Ansprache und Ussama Bin Ladens Videoerklärung die grundlegende Voraussetzung jedes Kampfes erfüllt ist: Es gibt erkennbare Kontrahenten, die ihre Taten rechtfertigen, es existiert eine Abfolge von Aktion und Reaktion. Seit dem 11. September führte der Westen einen Monolog, jetzt, mit der Selbstlegitimation Bin Ladens, gibt es eine Art rudimentären Dialog. Und seit den Raketen auf Kabul existiert eine neue Dramaturgie: Was in New York als diffuser Katastrophenfilm begann, hat sich in einen Kriegsfilm verwandelt.

Beruhigend mag das wirken, weil der Schock des 11. September nicht nur aus der Brutalität des Anschlags rührte, sondern auch aus dessen Anonymität. Irritierend war, dass es keine Begründung, kein Bekennerschreiben, keinen Autor und keinen Text gab. Sondern nur eine monströse Tat, die sich selbst genug zu sein schien – wie eine faschistische Vision des Futuristen Marinetti, wie ein ästhetisches Fanal.

Der Politologe Herfried Münkler hat in der taz direkt nach dem 11. September darauf hingewiesen, dass die Eskalationsgefahr auch aus der Logik der Bilder wachsen kann: Die USA könnten versucht sein, die Bilder der zusammenstürzenden Twin Towers durch noch spektakulärere, katastrophalere Bilder zu überbieten. Das ist, bis jetzt, offenbar nicht der Fall: Die grünlichen, amorphen, gestaltlosen CNN-Bilder des Nachthimmels über Kabul wirken wie eine reduzierte Fortsetzung der CNN-Bilder aus Bagdad. Anders gesagt: Die USA antworten auf die Kino-Bilder des 11. September mit bekannten, vertrauten Bildern.

Bushs Rede und die Inszenierung von CNN fügen sich sich auf paradoxe Art in dieses Bild. CNN wechselte vorgestern Abend sein Logo aus: Statt „War Against Terror“ hieß es „Strike Against Terror“. Gerade in dem Augenblick, in dem man erstmals von einer eindeutigen, konventionellen Krieghandlung sprechen konnte, ersetzte man das Wort „Krieg“ durch eine neutralere Bezeichnung. Die Botschaft ist klar: kein Krieg, sondern nur ein „Schlag“, eine Rhetorik der Begrenzung.

Die Inszenierung von Bushs Rede lässt sich ähnlich verstehen. Eine Kriegserklärung hätte Bush wohl im Oval Office verlesen, er wählte hingegen den Treaty Room. Hinter Bush schaute man aus einem Fenster auf Washington, auf Himmel und Straßenverkehr. Alles ist normal, es herrscht kein Ausnahmezustand, so die visuelle Botschaft. Bush weist in der Rede eigens darauf hin, dass „US-Präsidenten in diesem Raum für den Frieden gearbeitet haben.“ In dem Treaty Room wurde nach dem Zweiten Weltkrieg der Friedensvertrag mit Italien unterzeichnet und, vor allem, die UN-Charta. Der Ort soll die seriösen, friedlichen Absichten des Präsidenten beglaubigen.

Bushs zentrales Argument ist nicht überraschend: Der Kampf gilt nicht dem afghanischen Volk, sondern den Terroristen und den Taliban, die diese beherbergen. Brot für das Volk, Bomben für die Taliban – das ist die Message. „Die Taliban werden den Preis für ihr Verhalten zahlen“, lautet der erste Kernsatz. Und: „Zugleich wird das unterdrückte Volk Afghanistans die Großzügigkeit Amerikas kennen lernen.“ Bush scheint in der Rede stets bemüht, Kriegs- und Kreuzzugsrhetorik zu vermeiden. Es gibt auch keinen Ton des Triumphs, keinen Affekt, nun endlich die aufgeschobene Rachelust zu befriedigen. Die Rache, die am Grund der Rede aufscheint, ist verwandelt in die Gewissheit, für die gerechte Sache zu kämpfen – daraus leitet sich das Recht der USA ab, Vergeltung zu üben.

Anders als Berlusconi vermeidet es Bush, von der Überlegenheit des Westens zu reden. Er will keine Solidarisierung in der arabiszchen Welt provozieren. Gleichwohl scheint ein anderes, paternalistisches Bild auf: Die USA sind die Eltern, die die bösen Kinder – die Taliban – bestrafen und die schutzbedürftigen ernähren. So schlägt Bush eine assoziative Brücke zu einem traditionellen Selbstbild der USA: zu dem Image der Schutzmacht, die nach 1945 den Besiegten Nahrung und Reeducation zukommen ließ und so das Böse, den Nazismus, in der Seele der Deutschen niederrang.

Ussama Bin Laden stilisiert sich in seiner Erklärung zum Rächer der vom Westen erniedrigten Muslime. Der Text ist ein ebenso paranoides wie geschicktes Pamphlet. Laut Bin Laden herrscht ein Weltbürgerkrieg, in dem zwei Blöcke aufeinander prallen: einerseits der Westen, angeführt von Georg Bush, begleitet von islamischen Verrätern – und andererseits die Gläubigen, angeführt von Bin Laden. Die Gewalt legitimiert Bin Laden mit dem, was Antje Vollmer das „Urtrauma“ des islamischen Terrorismus nennt: mit der israelischen Präsenz in Palästina und dem Embargo gegen den Irak.

Historische Bezüge enthält der Text ebenso wenig wie legitimierende Zitate aus dem Koran – offenbar reicht die Schilderung der Lage in Palästina und Irak, um die Selbstinszenierung Bin Ladens zu einer Art neuem Saladin plausibel erscheinen zu lassen. Zudem wendet sich Bin Laden direkt an die nicht islamische Welt: In eine Reihe mit Palästina und Irak stellt er den Atombombenabwurf in Hiroschima. Interessanterweise bezieht Bin Laden seine Rechtfertigung damit, ebenso wie Bush, auf 1945.

Wir kennen nun die Texte dieses Krieges. Die USA haben seit Bin Ladens indirektem Bekenntnis zu den Terroranschlägen ein Problem weniger. Ihre Geheimnistuerei um die Beweise gegen Bin Laden, die in so bizarrem Gegensatz zur Sichtbarkeit des Verbrechens stand, dürfte die kritische Öffentlichkeit fortan weniger beunruhigen.

Seit Bushs und Bin Ladens Erklärung kann man von einer Art Normalisierung reden. Mag sein, dass die Furcht vor einer unkontrollierbaren, militärischen Eskalation derzeit überwiegt. Doch jenseits dieses Angstaffekts haben die Bilder von Bush und Bin Laden eine andere Botschaft: Wir sind ins Reich des Sprachlichen zurückgekehrt, in dem es erkennbare Willensbekundungen und erklärte Ziele gibt, kurzum: in die Rhetorik des Politischen.

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