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Die Alpen aufkaufen!

■ „Kunstengagement für Natur – aber richtig“ hieß ein zweitägiges Symposium im Oldenburger Museum. Romantik und Verlustempfinden sind abgemeldet, weit vorne ist dagegen, wenn Kunst in Bürokratie macht

Mit der laufenden Ausstellung Detlev Kappelers im Oldenburger Horst-Janssen-Museum hatte dieses Symposium seinen geeigneten Rahmen gefunden. Denn Kappeler selbst widmet sich in seinen – teils im Informellen verhafteten – Arbeiten der geschundenen Landschaft, der malträtierten Kreatur. Mitfühlend, durchaus, aber auch plakativ. Dass andere Ansätze in der Kunst da schon richtungsweisender sind – und es auch für die Oldenburger Ausstellungspolitik wären –, machten indes die ReferentInnen des zweitägigen Vortragsmarathons überaus deutlich. Denn der romantischen Utopie der Naturbeseelung steht in der zeitgenössischen Kunst die negative Utopie gegenüber, die Natur nicht mehr als Fluchtpunkt vor dem Schrecken akzeptiert, sondern die Zerstörung auch der menschlichen Natur thematisiert.

Marie Luise Syring, Kunstkritikerin, zeichnete mit ihren „Warnschildern des Schreckens“ die aktuelle Auseinandersetzung bildender KünstlerInnen mit den Folgen unseres technokratischen Zugriffs auf die Welt nach. Gerade die Gentechnik sei „eine Kriegserklärung an unser humanistisches Weltbild, da sie die Einmaligkeit des Menschen in Frage stellt“. Diese Thematiken seien daher auch mit den klassischen künstlerischen Mitteln nicht mehr zu greifen, sondern forderten technische Verfremdungen in der Photographie oder Computertechnik oder auch nach einer Simulation der naturwissenschaftlichen Verfahren. Eine andere Art des Ready-Made also, bei der man sich aber vor trügerischen Ästhetisierungseffekten hüten müsse.

Die Berlinerin Claudia Thieme-Polmann etwa, eine gelernte Naturwissenschaftlerin, verarbeitet Mikrofeinschnitte menschlicher und pflanzlicher Epidermen am PC zu ästhetischen Hybriden aus Tieren und Pflanzen, ohne dass deren Genese reflektiert würde. Schön und basta. Gegenbeispiel: Damien Hearst, der seinen eigenen Kopf etwa in tiefgefrorenem Blutplasma nachbildet, also den Schrecken thematisiert, wie auch Gerhard Langs hässliche Tierhybriden, die freigelassenen Zauberlehrlinge der Gentechnik. All diese Versuche der Technik-Näherung seien eben, so Syring, „kein expressionistischer Aufschrei“, sie rufen vielmehr den Schrecken im Betrachter selbst hervor durch die absolute Zurücknahme des künstlerischen Ichs. Keine Endzeitstimmung sondern „Trauer und viel unausgesprochene Hoffnung“ liege in diesem aufklärerischen Moment.

Gleichwohl hält sich diese Kunst – und das blieb unerwähnt – an gängige Ausstellungs- und Verwertungsbedingungen, formuliert die Utopie also nur als Produkt, nicht in ihren Entstehungsbedingungen. Ganz anders arbeitet die Art in nature, die von Professor Dieter Ronte auf ihre Tauglichkeit als praktische Utopie abgeklopft wurde. Der Direktor des Bonner Kunstmuseums ließ alle Fallstricke des Mimesisproblems weit hinter sich, mit dem sich im Prinzip selbst noch die amerikanische Land Art der Sechziger Jahre herumschlagen musste,. Ging es Smith und Co doch um die skulpturale Neuordnung von Naturstücken, zu den bekannten Spiralen oder mythisch aufgeladenen Orten. Die heutige Art in Nature hat nichts davon, sie verschwindet im realisierten Objekt. So soll nach den zwölf Thesen des Künstlerpaares Hilman und Newton Harrison eine ökologische Wiederaneignung der Landschaft Europa als Garten erstehen lassen. Das Konzept basiert auf konsequenter Anwendung unserer Marktmechanismen: Landschaft soll von der EU als Besitz gekauft werde, finanziert über eine einprozentige Steuer aufs Bruttosozialprodukt. Europa als Öko-Fonds: Grüne Wertpapiere sollen erworben werden, mitden Gewinnen werden die Alpen aufgekauft, botanische Korridore werden hin zu den Pyrenäen angelegt. Schöne Utopie? Ronte begreift diese Ansätze als „konkreten Versuch, in der Landschaft zu operieren“ und damit „Kunst als gesellschaftliche Ressource“ einzusetzen.

In den Niederlanden wird dieses Potential bereits genutzt: Heerenveen ließ einen Ring der Biodiversität erstellen. Mischkulturen alter Baum- und Pflanzenarten werden als „Ring der Erinnerung“ um die Stadt angelegt und sich selbst überlassen. In dem Moment, wo das Kunstwerk sich selbst als Natur herstellt, ist der künstlerische Akt erschöpft. Und könnte neue hervorbringen: Im romantischen Sich-Einfühlen der Malerin an der Staffelei in der Natur.

Marijke Gerwin

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