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STELL DIR VOR, ES HERRSCHT KRIEG UND GEGENARGUMENTE SIND EGALFlucht vor der Beweislast

Für die Fraktion der habituellen Antiamerikanisten bestand bei den Demonstrationen gegen den Afghanistankrieg Anwesenheitspflicht. Ansonsten waren die Friedensaktivitäten des Wochenendes weder von den Teilnehmerzahlen noch vom Programm her beeindruckend. Das hat einen schlichten Grund: Der Versuch, al-Qaida mit militärischen Mitteln auszuschalten, stößt auch in der kritischen Öffentlichkeit auf eine größere Akzeptanz als vermutet. Mit anderen Worten: Die von den Friedensbewegten vorgelegten Alternativen zum Krieg sind offenbar unglaubwürdig.

Das liegt an den Vorschlägen selbst, die meist auf unrealistischen Annahmen basieren. Dazu gehört die Idee, dass die USA zugunsten der UNO auf Hegemonialrechte wie etwa die Rechtsprechung verzichten würden – gerade jetzt, wo die Ergreifung Bin Ladens der wohl wichtigste Teil des psychologischen Heilungsprozesses der US-Gesellschaft nach dem Schock vom 11. September ist. Weltfremd ist auch die Vorstellung, dass an irgendeinem Glied der Auslieferungskette afghanische oder islamische Gerichte über die Glaubwürdigkeit der US-Ermittlungsergebnisse mitentscheiden sollten – anhand des Korans. Und gegen den Willen der Taliban wird auch eine noch so gut mandatierte neue UN-Polizeitruppe Bin Laden in Afghanistan nicht verhaften können.

Dann liegt eine Gruppe von Vorschlägen auf dem Tisch, die die Lösung regionaler oder weltweiter Konflikte diskutieren: um Irak und Palästina, Öl und Wasser, Armut und Globalisierung, weltliche versus religiöse Gesellschaft. Doch so entscheidend es ist, an die Wurzeln der Probleme zu gehen – damit neue Anschläge von al-Qaida verhindern zu wollen ist absurd. Schon gar nicht sind damit die Verbrechen vom 11. September zu ahnden.

Zunehmend populär wird deshalb das Argument, kein Argument zu brauchen (taz vom 15. 10.). Die Gedankengang verläuft so: Früher hätten die Militaristen den Krieg begründen müssen, heute liege die Beweislast bei den Pazifisten. Das sei unfair, außerdem bekämen die Militärs viel mehr Geld als die Friedensforscher und das Ganze zeuge auch noch von der Militarisierung des Denkens.

Aber Gründe wie Ziele des Afghanistankriegs sind schon seit Wochen klar. Zur Erinnerung: Er ist Teil einer Anti-Terror-Offensive, die sich politischer, geheimdienstlicher, ökonomischer und militärischer Mittel bedient, um die Al-Qaida-Strukturen zu zerschlagen. Wenn schon das Denken sich militarisiert, dann das der Friedensbewegten: dadurch, dass ihnen die militärischen Aktivitäten plötzlich als alleinige Problemlöser gelten und sie die drei zivilen Säulen schlicht ignorieren.

Abwegig ist das Argument, ihr vieles Geld verschaffe den Militärs gute Argumente für den Krieg, während die Friedensforscher wegen ihrer schlechteren Bezahlung auch nur schlechtere Lösungen vorlegen könnten. Tatsächlich waren die großen sozialen Bewegungen der letzten zwanzig Jahre in der Bundesrepublik immer sehr schnell in der Lage, Alternativen zu den herrschenden Politikentwürfen zu entwickeln, weil sie zugleich auch fähig waren, eigene fehlerhafte Modelle zu verwerfen. Militärische Einsätze als politisches Mittel kategorisch auszuschließen ist ein solches fehlerhaftes Modell. Die Friedensbewegung hat sich immer noch nicht vom Sarajevo-Dilemma erholt; wenn es nach den damals vorgeschlagenen Konzepten ginge, die allesamt Nato-Militärschläge ausschließen wollten, würde die bosnische Hauptstadt noch heute von Serben beschossen.

Ob die Bomben und Raketen auf Ziele in Afghanistan angemessen sind, das kann derzeit noch niemand beurteilen: nicht nur wegen der allseits interessengeleiteten Informationspolitik, sondern vor allem, weil wir noch am Beginn des Krieges stehen. Moralisch sind die Bellizisten angreifbar, weil sie die zivilen Opfer der Militärschläge in Kauf nehmen müssen, denn saubere Kriege gibt es nicht. Und nie werden die bedingungslos Friedensbewegten die Hoffnung teilen, das Ziel, die nächsten Anschläge zu verhindern, möge die Opfer rechtfertigen.

Wer sich nur von der Untauglichkeit des Krieges überzeugen will, bleibt im politischen Diskurs unglaubhaft. Dass die Friedensbewegung kategorisch gegen militärische Lösungen auftritt, weil sie wegen ihres Selbstverständnisses gar nicht anders kann, mündet deswegen zwingend in den Verzicht auf Argumente und Anhänger. DIETMAR BARTZ

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