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Kalt, was mich wärmen könnte

■ Dichterfreudleid: Ein szenisches Hörstück von Astrid Müller und Norbert Ellrich adaptiert Poesie von Albert Ostermaier

Spätestens seit „The Making Of. B-Movie.“, jenem Stück, durch das dem 1967 geborenen Münchener der endgültige Durchbruch beschieden war, ist klar: Bei Albert Ostermaier geht nichts ohne den doppelten Boden. Seine Gedichte, seine Texte für das Theater sind immer beides: irgendwie echt und irgendwie reflektiert und selbstbezüglich.

Natürlich ist ein Text kein Wesen, und doch hat man den Eindruck, die Seiten wüssten um ihre Stellung zu literarischer Tradition. Aus dem Taugenichts Andree macht Silber, der sprechend benamte Mäzen, einen Autor, der fortan von der heimatlichen Theaterclique hofiert wird. „Die Farbe steht dir gut für unsern Plan. Aus Andree wird Brom, der Söldner. Ich schreib die Texte und du gibst den dichtenden Provokateur“, sagt Silber. Schon im Titel zitiert „The Making Of.“ jene von den Filmfirmen selbst produzierten Werbefilme, die man analog zum Movie vielleicht als B-Documentary bezeichnen könnte. Fürs Theater geschrieben, sind Referenzen an Goethes „Tasso“ oder Brechts „Baal“ unübersehbar. Nur eben mit veränderten Vorzeichen.

Auch Ostermaiers Gedichte, von denen Regisseurin Astrid Müller und Komponist Norbert Ellrich vom WestEnd-Theater gut zwei Dutzend als szenisches Hörstück aufbereitet haben, erzählen viel von ihrem Ort. „ich schreib zuviel vom sterben / und lass mir s schlecht bezahlen / für ein paar groschen nur / schau an / kannst du mir bis ins mark schauen / und mein seelchen wie nen kaugummi / aus dem herzautomaten ziehn / der dir meine gefühle pumpt / wenns dir schlecht geht und du / ans sterben denkst wie ich / zahl ichs dir heim und schreib“. Nach dem großangelegten Projekt „Verschütt – was nun?“, mit dem im Sommer 2000 nicht weniger als der Holzhafen bespielt wurde, wollte Müller in die andere Richtung gehen. Ein kleiner Raum, eine reduzierte Inszenierung. Weniger Aktion, mehr Text. Heraus kam mit „Das Radio lief die ganze Nacht“ eine sehr textverliebte Bühnenminiatur. Kein Hörspiel wollten sie machen, keine Geschichte erzählen. Dafür die Zusehenden einer „unbequemen Situation“ aussetzen. Das gelingt mit viel Gefühl fürs Austarieren: von Melodie und Rhythmus in Ostermaiers Sprache. Von Klischee und Gedanke. Und nicht zuletzt für die unterschiedlichen Stimmen, aus denen der Autor seine fließend wirkenden Texte collagiert. Teile von des Müncheners letzten drei Gedichtbänden werden als kaum enden wollendes (Selbst)Gespräch inszeniert. Text und Musik füllen einen Raum, der zugleich das Innenleben des Dichter-Ich oder auch, ins Außen gedacht, der Kulturbetrieb sein könnte. Sechs SprecherInnen, für die Aufführung rund ums Publikum gruppiert, unterstreichen den räumlichen Charakter. Wiederkehrende Themen und Motive werden in den Kompositionen aufgenommen, die Ellrich wohl absichtlich nicht in Richtung Rock oder Techno, sondern mit Geige, Cello, Bass und Schlagzeug kammermusikalisch gearbeitet hat. Trotz (oder vielleicht gerade wegen) der gelegentlich eingesetzten Samples – von Stefan Raabs plärrendem Organ bis zum Rhythmus diverser Schreibgeräte – bleiben die Ambivalenzen Ostermaier'scher Poesie erhalten. Aller alltäglichen Beobachtung, aller umgangssprachlichen Wendungen zum Trotz, arbeitet sich der Lyriker doch am alten Topos des Dichters ab, der sein eigenes Tun beständig überdenkt, der am Kulturbetrieb leidet – ob der nun Weimar heißt oder Suhrkamp.

Schreibgeräusche und das Sprechen, das entsprechend langsame und ruckartige Nach-Sprechen der Texte unterstellt eine Unmittelbarkeit, die künstlich bleiben muss. Denn was wir lesen ist ja nicht das, was dem Autor gerade in den Kopf kommt. Andererseits gelingt dem wohlpräparierten Ensemble ein spannender Ausgleich zwischen heißen emotionalen und kalten poetologischen Aspekten. Beides wird genauso ineinander verzwirbelt wie Musik und Text. Drum ist „Das Radio lief die ganze Nacht“ ein im Wortsinne hoch spannendes akustisches Spektakel. Und gar nicht so konzeptlastig, wie es hier klingen mag. Schließlich ist da noch die Liebe. Und wer liebt, dem ists eben egal, wie oft irgendwer irgendwo schon mal Gleiches dachte. „lass uns nachts / mitten auf der straße / durch die nacht rennen“. Auch wenn der Schatten eines Zweifels bleibt: „dass zu lieben heißer ist als nicht zu lieben / kannst du vergessen“ Versuchen kann mans ja trotzdem. „als er losfuhr lächelte er / in die rückspiegel noch ein goodbye / für den plastikverschluss“. Schön!

Tim Schomacker

„Das Radio lief die ganze Nacht“ ist vom 19. bis zum 21. Oktober um 20.30 Uhr in der kulturwerkstatt westend zu sehen. Karten unter Tel.: Tel.: 0421-6160455. Tel.:

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