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Dr. S. liebt die Bombe nicht

Wie halten es Kabarettisten mit dem Krieg? Sieht Bin Laden gut aus? Ein abendlicher Besuch bei der Berliner Kabarettistenrunde „Dr. Seltsams Frühschoppen“ beantwortet viele Fragen – nicht alle

von FRIEDERIKE GRÄFF

Dr. Seltsam reicht Käseplatte und Kaffee zum Nachtisch. Er ist seinen fünf Gästen ein aufmerksamer Gastgeber, aber reden, das will er lieber selbst. „Ich kenne einige nette Amerikanerinnen“, beginnt Sarah Schmidt, die einzige Frau in der Männerrunde, und will fortfahren in der Art, dass man nicht generell verurteilen könne und differenzieren müsse ... Dr. Seltsam ist schneller.

In weißem Hemd und blauer Jacke lässig an den Ofen gelehnt, könnte er zwischen all seinen Büchern auch als Privatgelehrter durchgehen. Wäre nicht der lauernde Ausdruck in seinen Augen, der nach Genickschlägen für die Verfechter politischer Korrektheit hungert. „Ich kenne total liebe Fundamentalisten“, fährt er dazwischen.

Wenn die Kabarettisten aus „Dr. Seltsams Frühschoppen“ beim Abendessen ihr Programm diskutieren, bieten sie Kabarett im häuslichen Rahmen. Mit Zwischenrufen und ständigen Unterbrechungen, so wie auf der Bühne. Allzu tiefen Einsichten in ihre Befindlichkeit beugen sie mit erstaunlichen Wortkaskaden vor. Für die sind sie in der Berliner Kleinkunstszene seit elf Jahren bekannt und geliebt.

Das Jubiläumsprogramm, das sie heute Abend in der Kalkscheune vorstellen, hätte eigentlich eine Sammlung ihrer schönsten Texte werden sollen. Aber nun müssen – und wollen – sich die Frühschoppler auch mit den Anschlägen in den USA und den Angriffen auf Afghanistan auseinander setzen. Hans Duschkes Text heißt www.schily.de und nimmt die Rasterfahndung auseinander. Ist Schily leichtere Kost für das Kabarett, als es die Toten in New York und Kabul sind?

Zu Erklärungen hat Duschke wenig Lust. Dr. Seltsam springt Duschke bei. Es gehe nicht darum, ein Thema zu vermeiden, sondern nahe an der eigenen Situation zu bleiben. „In Deutschland ist man zu 98 Prozent sicher vor solch einem Attentat. Aber wenn Schily vorschlägt, dass Fingerabdrücke gespeichert werden, betrifft das die Leute hier.“

Durch den Frühschoppen geht ein Riss, der „Vermeidungsstrategie“ heißt. Das ist das, was Hans Duschke und Andreas Schilfert dem Doktor vorwerfen. Der schreibt in seinem Text „Der Elfte September“ nicht über die Flugzeugentführer des Jahres 2001, sondern über Kissingers Verantwortung für den Putsch gegen Allende vor 28 Jahren. Schreibt mit Leidenschaft über Moral in der Politik. Es scheint fast, als verließe ihn dabei die professionelle Nonchalance. Darüber fängt fast eine politische Diskussion an, aber Dr. Seltsam beginnt denRückzug in polemische Gewässer. „Die USA sind eine imperialistische Macht, da ist es klar, dass so etwas kommen würde“, sagt er und hebt herausfordernd das Kinn.

„Jetzt redet er wieder“, stöhnt jemand leise, und Jürgen Witte sagt aus seinem Sessel neben dem Ofen: „Als Pressesprecher betone ich, dass dies allein die Meinung Dr. Seltsams ist.“

Damit verabschiedet sich die Kabarettrunde erst einmal von den ernsthaften Erklärungen zum Thema Krieg. Stattdessen wärmt sie sich mit verbalem Pingpong auf für das Spiel.

Jemand hat von einer Katzenfamilie gehört, die den Einsturz des World Trade Centers überlebt hat. Andreas Schilfert soll das mit seinen Katzen am Fahrstuhlschacht nachstellen. Schließlich hat er drei. Sarah Schmidt hat lange geschwiegen. Aber jetzt muss es doch gesagt werden. „Wie geht man damit um, dass Bin Laden so gut aussieht?“, fragt sie die Herren neben sich. Die Herren wechseln das Thema.

Wenn die anderen nicht zuhören, äußert jemand auch mal etwas zur Frage Kabarett und Krieg. „Die Zuschauer wollen, dass man sich mit der Situation auseinander setzt“, sagt Horst Evers über den Tisch mit den Rotweinflaschen und Keksen hinweg. „Aber wenn das normale Programm weitergeht, sind sie doch erleichtert.“

Das Jubiläumsprogramm „Elf Jahre Dr. Seltsams Frühschoppen“ läuft von heute bis Sonntag in der Kalkscheune, Berlin-Mitte, 20.30 Uhr. Normaler Frühschoppen jeden Sonntag, 13 Uhr

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