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Schläfer und Schäfer

Erkenntnisse über Partisanen und Partisanvernichtungskommandos bei einem Workshop zum Thema „Kommen Gehen Bleiben“ in den deutsch-polnischen Grenzstädten Guben und Gubin

von HELMUT HÖGE

Anfang dieses Jahres fand im Kreuzberger Antiquariat Kalligramm eine Diskussion mit Inge Viett über gestrige und heutige Partisanen statt.

Ausgehend von der These, dass die meisten postmodernen Guerillabewegungen nun eher antikommunistisch sind und am Aufbau einer eigenen Ökonomie arbeiten, meinte die Exterroristin, es könne so etwas wie rechtes Partisanentum überhaupt nicht geben, nur linkes, weil der Partisanenkampf stets in einen Volksaufstand gipfelt, den die Rechten gerade durch ihren Putschismus verhindern wollen.

Von den Veranstaltern war das Gespräch mit Inge Viett, das parallel zu einer Reihe ähnlicher Partisanen-Diskussionen im Kaffee Burger sowie in der Zeitschrift Gegner stattfand, als Auftakt zum Aufbau einer „Partisanen-Universität Berlin“ verstanden worden (die taz berichtete).

Inzwischen wurde daraus ein regelrechter „Initiativ-Ausschuss PUB“, der Ende September tagte. Wenig später verlagerte sich dieses Treffen nach Guben in der Niederlausitz, wo ein zweiwöchiger Workshop stattfand – vorwiegend mit jungen Leuten aus Gubin (der polnischen Stadthälfte auf der östlichen Neißeseite).

Der stadtgeschichtliche Rechercheteil konzentrierte sich dabei auf die Schlussphase des Zweiten Weltkriegs, da Guben als einer der letzten Festungen an der Oder-Neiße-Front erst völlig zerstört und dann geteilt wurde. Damals kämpfte hier auf deutscher Seite das berüchtigte SS-Sonderkommmando Dirlewanger. Und diese wenig fronttaugliche Truppe, die überwiegend aus Kriminellen oder zwangsgepressten sowjetischen Kriegsgefangenen und deutschen Kommunisten sowie später auch aus antibolschewistischen „Ostmuselmanen“ bestand, war zuvor als erste deutsche Spezialeinheit gegen Partisanen (in Weißrussland und der Westukraine) sowie gegen Volksaufstände (in Warschau und in der Slowakei) eingesetzt worden – unter dem Kommando des wegen Päderastie vorbestraften rechten Spanienkämpfers Dr. Oskar Dirlewanger und unter der Schirmherrschaft von Himmler sowie des „Chefs aller deutschen Bandenkampfverbände“ Erich von dem Bach-Zelewski.

Für den Workshop gelang es uns, den letzten Einsatz dieser Mördertruppe in Guben, der zugleich Auftakt für neue Partisanen-Bekämpfungseinheiten war – diesmal aufseiten der Westalliierten – mit neuen Einzelheiten zu rekonstruieren. In einer Workshop-Zeitung aus Gubin, die heute auch der taz beigelegt ist, findet sich darüber Näheres. Diese letzte und erste Schlacht sollte dabei gleichsam aus Partisanensicht dargestellt werden.

Die polnische Seite dieser heute von Arbeitslosigkeit und Abwanderung heimgesuchten Doppelstadt kam dabei dem Thema in so weit als Genius Loci entgegen, als dass die Polen auf eine über 230-jährige Partisanenerfahrung zurückblicken können: Immer wenn Russland, Österreich oder Deutschland das Land überfielen, ging nahezu die komplette Gesellschaft in den Untergrund: bis hin zu Polizei, Zoll, Schulen, Universitäten und Zeitungen – während man in Deutschland auf eine fast ebenso große Erfahrung in der Partisanenvernichtung zurückblickt, die nach dem Krieg zum ersten Exportschlager in den Westen wurde.

Das heißt, die Westalliierten setzten die diesbezüglichen deutschen Ideen – wie Wehrdörfer und tote Zonen mit anschließender Vertreibung und Massenmord – sogleich nach dem Krieg in Griechenland und dann in Algerien sowie in Vietnam und Korea um.

Die 1945 gezogene Grenze auf der Neißebrücke zwischen Polen und Deutschland wurde erst 1972 geöffnet – und zwar primär für etwa tausend Frauen aus Gubin, die im neuen Gubener Chemiefaserwerk Arbeit bekamen. Dort bildeten sie die dritte Schicht der Nachzwirnerinnen. Ihre Brigade war nach der polnischen Top-Partisanin im Zweiten Weltkrieg „Malgorzata Fornalska“ benannt. Nach Ausbruch des Aufstands der Solidarność-Bewegung wurde der Grenzübergang nach Gubin von der DDR jedoch 1980 wieder geschlossen, wodurch alle polnischen Arbeiterinnen, die bis dahin keinen Deutschen geheiratet und auf die andere Seite des Flusses gezogen oder aus sonstwelchen Gründen nicht in Guben ansässig geworden waren, ihren Arbeitsplatz verloren.

Sie stammten zumeist aus Familien, die man zuvor aus Ostpolen und der Westukraine nach Gubin umgesiedelt hatte. Eine Zeitzeugin erinnert sich, dass sie dort anfänglich stets in Gruppen siedelten – aus Angst vor Plünderern und Überfällen. Auch waren sie unsicher, ob sie überhaupt bleiben konnten. Umgekehrt besteht heute noch ein Drittel der Bewohner Gubens aus „Vertriebenen“ vom östlichen rechten Ufer, wie die Gazeta Wyborcza gerade berichtete.

Erst in der Wende wurde die Brückengrenze wieder geöffnet. Zugleich machten jedoch nahezu sämtliche Textil- und Hutfabriken in Guben dicht, vor zwei Jahren folgten ihnen die Schuhfabriken in Gubin. Für die Töchter und Söhne der ehemaligen Arbeiter hüben wie drüben gibt es nun in Guben eine „Europa-Schule“, das frühere Karl-Marx-Gymnasium, zu dem jetzt noch ein Internat in Gubin gehört. Aus diesen Einrichtungen kamen die meisten Mitarbeiter des Workshops – die Verkehrssprache war polnisch. Dennoch sind die meisten Textbeiträge – für eine lokale Zeitung namens Portal ebenso wie für die taz-Beilage „Kommen-Gehen-Bleiben“ – auf Deutsch: Das Geld kam nämlich aus Guben bzw. von deutschen Kulturfonds für Völkerverständigung.

Man könnte dieses Versagen jedoch auch den Workshop-Leitern aus Westberlin vorwerfen, die sich zu sehr auf die Übersetzerfähigkeit von vier deutsch und polnisch sprechenden Schülerinnen verließen. Da das „Projekt“ aber den Teilnehmern trotzdem großen Spaß gemacht hat, kann man hierbei auch von einem typisch polnischen Partisanenakt – diesmal im deutschen Sprachraum – reden.

Auch die dortigen rechten Jugendlichen fühlen sich im Übrigen als Partisanen – so heißt ihre Stammkneipe im Gubener Neubaugebiet „Junge Welt“. Die Deutschen können ansonsten von der polnischen Fähigkeit zur Selbstorganisation, auch und gerade in puncto Geselligkeit, nur lernen: Während hier die Straßen ab 22 Uhr wie ausgestorben sind und höchstens noch kleine Gruppen von Pennern herumstrolchen, herrscht drüben die ganze Nacht reger Verkehr.

Gubin ist die Grenzstadt mit den meisten „Partnerschaftsvermittlungsagenturen“, wie die deutsch-polnische Verständigungszeitschrift Transodra gerade berichtete. Noch beeindruckender sind jedoch die vielen Nachbarschaftstreffen und Wohnblockfeste in Gubin. Das ist nämlich die Kehrseite der Partisanen-Vernichtungs-Tradition: Wenn die Zwangsgeselligkeit auseinander fällt, bleiben den Bürgern hier nur die eigenen vier Wände, aus deren Generalüberholung dann auch die einzige Wiedervereinigungsidee bestand: Gemeint ist die Abschreibungsmöglichkeit Ost, „Sonder-Afa“ genannt. Wobei der dadurch entstandene Immobilienwahn bloß die neudeutsche Umsetzung der alten Blut-und-Boden-Politik in Privatinitiative ist.

Während die Stadt immer noch jährlich Millionen an renovierungswillige Hausbesitzer als Zuschüsse verteilt, zahlt das Arbeitsamt Cottbus zur gleichen Zeit jedem, der trotzdem aus Guben wegzieht, also der Arbeit hinterher, eine Prämie. „Jeder Penner ein Schläfer?“ So hieß dann auch der Redaktionstext über diese Gubener Staatsdialektik.

Zwischen 1939 und 1945 stand Deutschland bereits vor dem Dilemma: Die Arbeitskräfte erhalten oder sie als Partisanen vernichten? Der Berliner Historiker Christian Gerlach ist dieser Frage in seiner 1999 erschienenen Studie über die Partisanenbekämpfung nachgegangen. Der Untertitel seines 1.200 Seiten umfassenden Werks bringt das bereits zum Ausdruck: „Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrussland“.

Das zuletzt bei Guben eingesetzte SS-Sonderkommando Dirlewanger spielte dabei eine nicht geringe Rolle. Ihr Anführer wurde 1945 ausgerechnet auf dem kleinen Soldatenfriedhof des jetzt erneut wieder, dieses Mal durch die Braunkohlebagger des schwedischen Konzerns Vattenfall umkämpften Dorfes Horno beerdigt.

Kurz danach wurde jedoch derselbe Dirlewanger im bayerischen Althausen auch von einem entlassenen jüdischen KZ-Häftling erkannt – und dort sogleich in französische Haft genommen, woraufhin ihn drei polnische Wachsoldaten in der Nacht erschlugen.

Die Leiche wurde später exhumiert und identifiziert. Sein Grab befindet sich jetzt in seiner Heimat Württemberg. Mithin gibt es heute in Ost- und in Westdeutschland je ein Dirlewanger-Grab! Außerdem hat sich eine schwedische Rockband nach ihm benannt. Überhaupt findet in der revisionistischen Geschichtsschreibung derzeit eine Umbewertung der einstigen Schlachten statt.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung warf neulich schon Teilen der SPD vor, immer noch den 8. Mai als Tag der Befreiung zu feiern, obwohl er doch in Wahrheit ein Tag der Vergewaltigung des deutschen Volkes war. In der deutschen Schwesterrepublik Kroatien will man jetzt sogar schon die ersten Tito-Partisanen-Veteranen vor Gericht stellen ...

Dieser Herbst ist genau dem „deutschen Herbst“ entgegengesetzt. Damals gab es nicht nur ein riesiges sozialistisches Asyllager, zum Beispiel für die Terroristin Inge Viett, sondern auch ein ebenso großes zivilisiertes westliches Ausland, dessen Presse darauf achtete, dass bei der deutschen Schleyer-Fahndung auch alles mit rechten Dingen zuging. Die besten Artikel druckte der Spiegel nach, und die Jerusalem Post titelte später: „SS-Obersturmführer erschossen“.

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