Der Kampf um die Frequenzen

Während die USA angeblich versuchen, die Taliban-Radiosender aus der Luft zu vernichten, senden ständig neue Stationen sowohl der Taliban als auch der Nordallianz ihre jeweiligen Propagandaprogramme in den afghanischen Luftraum

Ein fliegendes US-Funkkommando soll die Taliban-Propaganda stören

von ROLAND HOFWILER

In Afghanistan sprießen ständig neue Radiosender aus dem Nichts. Angeblich. Denn sowohl die Taliban als auch die Nordallianz und das Pentagon beanspruchen für sich, dass ihre Programme für die afghanischen Hörer beachtlich ausgeweitet würden – leicht gesagt für die Führer der Nordallianz, die bislang gar nicht im Radioäther vertreten waren.

Doch in Kürze soll ein Staatssender für das gesamte Land seinen Dienst aufnehmen: „Sado-e Afghanistan“ (Stimme Afghanistan). Auf Mittel- und Kurzwelle werde man senden, mit einem Vollprogramm in Dari und Zusatzsendungen in den anderen Landessprachen, sagte ihr künftiger Direktor Said Hamid Nuri der tadschikischen Presseagentur Asia-Plus. Über den angeblich bereits von der französischen Menschenrechtsorganisation „Droit de Parole“ aufgebaute UKW-Sender „Radio Solh“ (Friedensradio) schwieg er. Tatsächlich ist es erstaunlich still geworden um dieses Projekt, selbst in Paris hat man keine näheren Informationen, ob und wo die Anlage zum Einsatz kommt.

Die Taliban-Führung prahlt unterdessen, noch immer über ein umfangreiches Informationsnetz zu verfügen – trotz der US-Angriffe. Die offiziellen Angaben aus Kabul sind jedoch recht widersprüchlich. Einmal heißt es, man habe Studios und manche Sendemasten noch rechtzeitig abbauen können und die Amerikaner hätten nur Attrappen zerstört. Andererseits wird behauptet, bei den Bombenabwürfen seien auch zivile Ziele wie Redaktionsgebäude getroffen und beschädigt worden. Doch es sei in „heldenhafter Arbeit“ gelungen, mit mobilen Sendern den Radiobetrieb wieder aufzunehmen, in allen größeren Städten des Landes hörten die Menschen wieder „Radio Scharia“, die „wahre Stimme des Islam“. Eine Behauptung, die nicht zu überprüfen ist, da bewegliche Sendeanlagen nur über eine geringe Leistung verfügen und kaum über einen Umkreis von ein paar Kilometern hinaus gehört werden können.

Westliche Radioexperten sind allerdings erstaunt darüber, dass „Radio Scharia“ über die Lokalstation im nordöstlichen Masar-i-Scharif tatsächlich täglich ein Vollprogramm auf die Beine stellt, das über die Frequenz 1.584 kHz die Taliban-Rhetorik in den Hauptsprachen Dari, Paschtu und Turkmenisch landesweit verbreitet – jedenfalls in den für Mittelwellenempfang günstigen Morgenstunden. Dabei haben die Amerikaner nach eigenen Angaben über Afghanistan ein fliegendes Funkkommando in Stellung gebracht, dessen Aufgabe es ist, die gegnerische Taliban-Propaganda massiv zu stören und die Bevölkerung mit Gegeninformationen zu versorgen.

Was die militärische Flugstaffel „6 EC-130-J“ – besser bekannt als „Commando Solo“ – wirklich ausrichtet, darum ranken sich bereits die Mythen: Alles begann damit, dass sich die Mannschaft des fliegenden Propagandasenders in der zweiten Oktoberwoche mit kurzen Appellen an die Bevölkerung wandte. Sie sollten keine Angst vor den Luftangriffen haben und gelassen reagieren, wenn US-Spezialeinheiten auf dem Boden landen. Denn niemand beabsichtige, Afghanistan zu besetzen oder der Zivilbevölkerung Schaden zuzufügen. Dubios war damals an den kurzen Funkappellen, dass sie anonym gehalten waren. Sie erweckten so manchmal den Eindruck, sie seien von Anhängern der Nordallianz oder von rivalisierenden Strömungen innerhalb der Taliban verfasst worden. In diesem Fall unterlegten die Radiomacher ihre Textbeiträge mit religiöser Musik oder Volksliedern, die Texte wurden ausschließlich von Männern gesprochen.

Ging der Appell direkt an die Taliban, ihren Kampf einzustellen und sich zu ergeben, dann erklang gelegentlich auch westlich gefärbte Popmusik, und Frauenstimmen riefen die afghanische Bevölkerung auf, das Regime nicht länger zu unterstützen. Überzeugend wirkten diese Aufrufe nie, denn kein Wort über die alltägliche Not der Menschen, über Flüchtlingstrecks und Opfer unter der Zivilbevölkerung kam den Radiomachern über die Lippen.

Die Darstellungen des Pentagon über Einsatz und Wirkung von „Commando Solo“ – seit kurzem „Friedensradio für Afghanistan“ genannt – stehen den Propagandalügen der Nordallianz und Taliban kaum nach. Schon die Nachfragen von Journalisten, wie viele Spezialflugzeuge bei der Propagandaoperation eigentlich in der Luft seien, blieben unbeantwortet.

Glaubt man den US-Militärs, so sendet die fliegende Funkstation über die Frequenz 980 kHz längst ein „friedensstiftendes Programm“ in den Sprachen Afghanistans, das von „Voice of America“ in Washington und von „Radio Free Europe“ in Prag betreut wird. Doch das Gegenteil ist richtig: Weder in Washington noch in Prag werden derzeit außerhalb des normalen Programmschemas spezielle Sendungen für das fliegende „Friedensradio“ erstellt. Im Land am Hindukusch herrscht auf 980 kHz Funkstille. Das bezeugen Redakteure aus beiden Rundfunkhäusern. Auch zwei der drei Frequenzen für das „Friedensradio“, die Mittelwelle 864 und 1.107 kHz, werden selten oder gar nicht bedient. Nur auf 8.700 kHz Kurzwelle ist das Signal klar. Doch einzig die Mittelwelle können die Menschen mit ihren einfachen Rundfunkgeräten in Afghanistan problemlos empfangen.

Sendet „Commando Solo“ also gar nicht mehr wirklich gegen die Taliban? Haben die Amerikaner ihre Funkappelle vorübergehend ausgesetzt, weil sie merkten, mit ihrer plumpen Propaganda verfehlten sie ihr Ziel, die von Krieg und Elend gezeichnete Bevölkerung für sich zu gewinnen? Radiofreaks von „Clandestine Radio Watch“ (www.clandestineradio.com) fanden ihrerseits heraus, dass die 8.700-kHz-Frequenz weltweit erstaunlich gut zu bekommen ist – mit modernen Empfangsgeräten. In Japan, den USA und Europa lässt sich die US-Propagandastation einfangen, so gut, dass auch die Koordinaten für einen Radiofreak leicht auszumachen sind. Und danach befindet sich zumindest der 8.700-kHz-Sender gar nicht im Himmel von Afghanistan, sondern auf der Erde, im benachbarten Turkmenistan. Von dort wird gesendet, möglicherweise um Funkamateuren, Kurzwellenfans und DXern überall auf der Welt Eindruck zu machen, was technisch alles möglich ist und wie professionell der Krieg um Worte geführt wird – live auf der Homepage von Clandestineradio zu bewundern. Dass dabei die Kriegsgeschundenen in Afghanistan nichts mitbekommen, stört keinen.