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Auferstanden aus Ruinen

Kolumbien steht für Bürger- und Drogenkrieg. Doch der Gouverneur einer Region im Süden des Landes – der erste Gouverneur indianischer Abstammung – glaubt an die Zukunft. Seine „Alternative Soziale Bewegung“ setzt auf die Kraft des Tourismus

Erstmalig regiert in Popayán ein Mann indianischer Abstammung

von JENS HOLST

Popayán hat sich das Festtagskleid der feierlichen Stille übergestreift. Die weißen Wände der Kolonialbauten wirken noch weißer, die Gassen breiter und der Park grüner als sonst. Kaum ein Mensch ist in den Mittagsstunden unterwegs.

Wie ein großes Freilichtmuseum empfängt der geschichtsträchtige Ort den Besucher. Die Kolonialarchitektur erinnert an längst vergangene Zeiten. Unschwer lässt sich die einstige Bedeutung dieses Städtchens im Süden Kolumbiens erahnen. Doch die allermeisten Gebäude sind kaum älter als zehn oder zwölf Jahre. Denn am 31. März 1983 hatte ein gewaltiges Erdbeben die Stadt dem Erdboden gleich gemacht. Es war Gründonnerstag, drei Tage vor dem Osterfest, dessen religiöse Umzüge wie jedes Jahr viele BesucherInnen aus dem In- und Ausland angezogen hatte. Die Menschen in Popayán rüsteten sich gerade für die Prozession des Tages, als die Erde minutenlang bebte. Die historischen Kirchen, Paläste und Kolonialhäuser stürzten wie Kartenhäuser in sich zusammen, es gab viele Verletzte und Tote unter den Trümmern. Dreieinhalb Jahrhunderte nach ihrer Gründung lag die Stadt in Schutt und Asche.

Heute, achtzehn Jahre später, sind in Popayán fast keine Spuren des großen Bebens mehr zu erkennen. In beachtlicher Geschwindigkeit gelang es, die Hauptstadt des Departments Cauca erneut aufzubauen und damit ein besonderes Kleinod der spanischen Kolonialgeschichte im nördlichen Südamerika für die Nachwelt wieder herzustellen. Bereits 1537 hatte Sebastián de Belalcázar, ein Leutnant von Francisco Pizarro, dem Eroberer des Inkareiches, die Stadt in einem weiten Tal der Andenkordillere gegründet. Wegen seiner Lage auf der Goldstraße von Quito und Lima nach Cartagena an der Karibikküste verwandelte sich Popayán rasch in ein bedeutendes Handelszentrum des spanischen Weltreichs. Die 1.740 Meter über dem Meeresspiegel gelegene Stadt mit ihrem ganzjährig frühlingshaften Klima entwickelte sich in der Folgezeit zu einem politischen und religiösen Zentrum Kolumbiens. Davon zeugen die reich verzierten Kirchen, Klöster und Paläste ebenso wie die zweistöckigen Herrschaftshäuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Alles wurde in den vergangenen Jahren originalgetreu wieder aufgebaut und vermittelt einen realistischen Eindruck vom einstigen Stadtbild.

Popayán ist eine typische Stadt der Mestizen, der Mischlinge indianischer und europäischer Vorfahren, die nach der spanischen Eroberung jahrhundertelang die wirtschaftliche und meist auch die politische Macht in Händen hielten. Ihre Herrschaft war elitär und von einem tiefen Rassismus geprägt. Die indigenen Ureinwohner durften lange Zeit nicht einmal in der Stadt leben, ihr Kontakt mit deren Bewohnern beschränkte sich auf die Märkte, auf denen sie ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse feilboten. Die meisten Indios wurden als Arbeitssklaven in den nahen Gold- und Silberminen verschlissen. Die Überlebenden führen zumeist bis heute ein ärmliches Leben im bergigen Umland. Ihre farbenfrohe Kleidung und ihre bunten Märkte ziehen vornehmlich Besucher aus der nahe gelegenen Großstadt Cali an, die sich an dem wirtschaftlichen Gefälle mit den entsprechend niedrigen Preisen in Popayán und dessen Umland schadlos halten.

Die indigene Urbevölkerung gehört ansonsten zu den vergessenen Teilen der kolumbianischen Gesellschaft. Die Verfassung von 1991 räumt den Ureinwohnern des Landes zwar weitgehende Rechte ein. Doch in einem Land, wo die Macht aus den Gewehrläufen kommt, zählen Gesetz und Recht wenig. Die wirtschaftliche Entwicklung Kolumbiens geht an den Indiogemeinden vorbei. Meistens treten die Ureinwohner allenfalls als pittoreske Farbtupfer in Erscheinung. Kaum jemand kümmert sich heute um diesen schwindenden Bevölkerungsanteil, um ihre Sitten und Gebräuche.

Der Bürgerkrieg hat den Tourismus praktisch zum Erliegen gebracht

Lang ist es her, dass sich der berühmte deutsche Anthropologe und Naturforscher Alexander von Humboldt der Erforschung der Guambianos und anderer Indígenas in diesem Teil Kolumbiens widmete. Eine Gedenktafel im Zentrum von Popayán erinnert an seinen Aufenthalt im Jahre 1801. Genau zwei Jahrhunderte hat es gedauert, bis die Ureinwohner wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerieten. Seit Anfang dieses Jahres regiert erstmalig ein Gouverneur indianischer Abstammung im Regierungspalast an der Plaza de Caldas. Floro Tunubalá, der als Vertreter der neuen politischen Gruppierung „Alternative Soziale Bewegung“ einen Weg aus der Gewalt zwischen Armee, Guerilla, Drogenmafia und Paramilitärs sucht, gehört zum Volk der Guambianos. Gemeinsam mit fünf weiteren Gouverneuren aus den wichtigsten Drogenanbaugebieten Kolumbiens steht Tunubalá für eine alternative Entwicklung zur Überwindung des Drogen- und Bürgerkriegs in dem südamerikanischen Land. Den von den USA unterstützten „Plan Colombia“ lehnt er wegen der starken militärischen Ausrichtung und der Giftsprühaktionen gegen Drogenpflanzungen ab. Allenfalls die manuelle Beseitigung von Mohn- und Kokafeldern durch die Campesinos kommt für ihn in Betracht, um Anbauflächen für Lebensmittel zu schaffen.

Wenn seine Strategie aufgeht, rechnet sich Floro Tunubalá auch im Fremdenverkehr Chancen auf eine zusätzliche Einnahmequelle für das zweitärmste Department Kolumbiens aus. Schon in diesem Jahr will er während der Karwoche mehr Besucher als in den vergangenen Jahren ausgemacht haben. Dem sichtbaren Bemühen der Stadtväter zum Trotz kommen allerdings ausländische TouristInnen in den letzten Jahren nur sehr vereinzelt nach Popayán, einst ein Muss jeder Kolumbienreise.

Der seit vierzig Jahren herrschende Bürgerkrieg, der jedes Jahr tausende Tote fordert, hat den Fremdenverkehr nach Kolumbien praktisch vollständig zum Erliegen gebracht. Die Guerilla kontrolliert große Landesteile, zudem sind in den letzten Jahren allerorten paramilitärische Banden aufgetaucht, die Landkarte von Gewalt und Mord erstreckt sich praktisch über das ganze Land. Nicht erst seit der Entführung des Mitarbeiters der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), Ulrich Künzel, und seiner Begleiter in der Nähe des Indiostädtchens Silvia oberhalb von Popayán rät die Deutsche Botschaft UrlauberInnen von Überlandreisen ab. Auch die Verhandlungsbemühungen des noch amtierenden Präsidenten Andrés Pastrana mit den beiden größten Guerillaverbänden Farc und ELN haben bisher kein greifbares Ergebnis gebracht. Solange der bewaffnete Konflikt herrscht, wird das neu entstandene historische Popayán noch ein Weilchen auf die ersehnten Touristenströme warten müssen.

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