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Ganz oder gar nicht

In vier oder fünf Minuten lässt sich manchmal genauso viel erzählen und zeigen wie in neunzig: Heute beginnt das Kurzfilmfestival Interfilm

Wer sich hier langweilt, dem helfen tatsächlich nur noch MTV und Viva

Viele Filme sind viel zu lang. Zu kurz sind nur sehr wenige. Kurzfilme leiden unter dem Image, nichts Vollständiges zu sein. Als seien Kurzgeschichten Mickerkram gegen einen ausgewachsenen Film. Kurzum: Kurzfilme sind die Stiefkinder des Kinos.

Aber Berlin wäre nicht Berlin, wenn es gegen dieses Manko nicht ein Rezept entwickelt hätte. Das heißt in diesem Fall: Interfilm. Das Festival des Kurzfilms wurde zu Zeiten erfunden, als in SO 36 noch der Hausbrand die Luft vergiftete und man beim Mülltonnenöffnen braunen, stinkigen Feinstaub abbekam. Im Kreuzberger Eiszeit-Kino lief das erste Interfilm-Festival 1982 als reines Super-8-Festival. Initiiert damals wie heute von Heinz Hermanns.

Dessen Leute wuseln heute durch ein Hinterhofbüro direkt hinterm Zitty-Verlagsgebäude. Das Interfilm-Festival hat sich etabliert, kämpft aber mit den üblichen Schwierigkeiten wie zum Beispiel der Unterfinanzierung. Dieses Jahr gab’s plötzlich mal einige tausend vom Wirtschaftssenator, von der Kulturabteilung dagegen nichts. Dafür noch eine Stange nicht in doofe Deutschfilme gestecktes Geld vom Filmboard Berlin-Brandenburg. Ansonsten unterstützen es die üblichen Sponsoren.

Dem Genre geschuldet ist die Unübersichtlichkeit des Programms. Gesichtet haben die Macher wahrscheinlich tausende Kassetten, viele von Filmstudenten. Gleichwohl legt Organisator Markus M. Liske Wert auf die Feststellung, der Kurzfilm sei kein typisches Studentenerstlingswerk. Da könnte was dran sein. Die Kurzfilme des Festivals, die ich vorher sichten konnte, sind allesamt professionelle Werke. Vor allem Filme aus England bestechen durch Stringenz und unerwartete Pointen.

Ein erschütterndes kleines Machwerk ist der britische Film „A Heap of Trouble“. Neun nicht gerade wohlproportionierte Herren, mit nichts als Socken und Schuhen bekleidet, marschieren mitten am Tag durch ein bürgerliches Reihenhausviertel. Die spielenden Kinder verlieren vor Schreck ihr Eis, als sie die Männer sehen. „Nine naked men walkin’ down the street“ skandieren diese laut. Ihre Demo der wabbeligen Ärsche scheint auf die männlichen Bewohner eine ungeheure Anziehungskraft auszuüben. Der Eismann versucht sich zunächst in seinem bunten Eisauto zu verbarrikadieren, aber es scheint, als könne ihn keiner stoppen, Nummer zehn der Nackten zu werden. Der Film von Matthew Ehlers dauert gerade mal vier Minuten.

Bei Interfilm laufen die Nackten unter „Eject – Lange Nacht des abwegigen Films“. Dieses Mal finden die Abwegigen Platz im großen Saal der Volksbühne. Das Publikum kann mit einer ausgeklügelten Variante des Votings über Filme richten. Mit Spiegeln kann man Licht auf eine Solaranlage werfen. Der Hellste gewinnt.

Eine andere Schiene sind die „Shocking Shorts“ im Internationalen Wettbewerb. Hier zu empfehlen der britische, herrlich absurde „Cereal Killer“. In den Hauptrollen eine Schüssel Cornflakes, Horrorvideos und ein langes Küchenmesser. Der Slacker Billy Baxter scheint den Beweis antreten zu wollen, dass Videos nichts für Jugendliche sind. Er lebt mit seiner Großmutter zusammen. Als Billy wieder einmal mit Kopfschmerzen erwacht, ist es um die alte Frau geschehen. Die aber erweist sich als zäher, als die Medizin es für Menschen gemeinhin vorsieht. Schwarzer Humor ohne Milch und Zucker. Ebenfalls schockierend, nett und lustig-splatterhaft ist der französiche „It’s hard killing someone even on a monday“. Auch hier ein Messer im Einsatz.

Ein weiteres Highlight könnte die lange Nacht des Stefan Möckel werden. Möckel scheint ein absoluter Super-8-Freak zu sein. Jedes Jahr schickt er zehn bis zwanzig Filme an das Festival. Die haben nun kapituliert vor der Bilderflut. Jetzt soll Möckel selbst sehen, wie er mit seinem Publikum klarkommt. Er selbst wird die Filme kommentieren und mit jammernder Hammondorgel begleiten.

Sehr merkwürdig und ziemlich klasse ist auch ein eingesandtes Urlaubsvideo. So verwackelt und scheinbar ungeplant jedenfalls wirkt „Wittmeyers an der Côte d’Azur“. Das „Urlaubsvideo“ von Sohn Martin ist eine Dokumentation des ganz normalen Familienhorrors. Vom Kofferpacken über die Fahrt im Auto bis zu der muffigen Atmosphäre des Apartments – alles ist festgehalten. Obwohl Vater Wittmeyer sich Cannes billig rechnet („alles durch drei“) und Mutter sogar Wein aus Deutschland mitnimmt, warten einige nicht nur angenehme Urlaubstage auf die Wittmeyers.

Sagen wir mal so: Definitv keine Kunststudentenkacke. Wer sich bei diesem Festival langweilt, dem helfen tatsächlich nur noch MTV und Viva.

ANDREAS BECKER

Vom 6. bis 11. November in den Kinos Acud, Babylon, Hackesche Höfe sowie in der Volksbühne. Termine im tazplan oder unter www. interfilmberlin.de

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