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Kühlschrank fürs Weltall

■ Ein Riesenflugzeug landete gestern in Bremen, um eine Versorgungseinheit für die Raumstation ISS an Bord zu nehmen. Es ging um zwei Zentimeters

Da kommt sie. 14 Sekunden nach zwölf. „On the second“, sagt der Mann im grauen Mantel, hebt die Hand über die Augen und sieht sie hereinschweben: die „Beluga“, lautlos fast, die beiden Scheinwerfer heller als die gleißende Sonne über der Landebahn. Sie schwebt. Sie sinkt. Hinter flachen Hallen am Rand der Bahn berührt die Airbus-Transportmaschine mit dem tubenförmigen Kopf und der nach unten gerichteten Nase den Boden. Die Männer auf dem EADS-Gelände am Rande der Rollbahn sehen sich an, der Mann im grauen Mantel holt sein Handy raus: „Wo bleibt ihr?“ Die Spannung steigt.

Die Aufgabe, die an diesem Vormittag im hellen Sonnenlicht und kalten Novemberwind zu erledigen ist, scheint simpel: Ein quadratischer Container muss in den runden Laderaum der Beluga befördert werden. Der Mann im grauen Mantel steckt die Hände in die Taschen, geht auf und ab. In dem weißen Container ein paar Meter weiter steckt der erste „ATV“, ein „Automated Transfer Vehicle“ – eigentlich eine Kombination aus Kühlschrank, Mülleimer und Zugmaschine in einem und in beträchtlicher Größe: Er ist rund, zehn Meter lang, hat 4,5 Meter Durchmesser und kann 9,5 Tonnen transportieren. Ins Weltall. Zur Internationalen Raumstation ISS. Auf dem Rücken der Trägerrakete Ariane. August 2004 soll der ATV erstmals ins All starten, selbstständig an der ISS andocken, die Besatzung versorgen, die Station ein bisschen anlupfen – in der „Restatmosphäre“ von 400 Kilometern verliert sie ständig an Höhe –, schluss-endlich den Müll aufnehmen und beim Wiedereintritt in die Atmosphäre verglühen. Michael Attwood, der Mann im Mantel, ist „Produktionsleiter ATV“ beim Bremer Raumfahrtunternehmen Astrium. Nein, er sei nicht nervös. Ja, man habe schon gefeiert, gestern Abend. Drei Jahre hat die Entwicklung von ATV gedauert und 700 Millionen Euro gekostet, in Bremen waren rund 100 Leute daran beteiligt. Neun Riesenkühlschränke sollen gebaut werden, Stückpreis 100 Millionen Euro. Aber erstmal muss der Prototyp die Tests bestehen.

Dafür muss er nach Holland: nach Amsterdam per Beluga, nach Noordwijk ins ESA-Testzentrum per Schiff. Dort wird ATV „geschüttelt, um zu sehen, dass nichts abbricht und nichts runterfällt“, sagt Attwood. Da kommt die Beluga. Vormittags in Toulouse gestartet. Langsam rollt sie aufs EADS-Gelände, die Triebwerke röhren, die Männchen im Cockpit unter dem riesigen Bauch gestikulieren.

Ein Mann mit schwarzer Schirmmütze tritt näher. Es ist Stefan Brosze, „Transport Manager“. „Wir haben das Baby organisiert“, sagt er und sieht auf den Belugabauch, in dem sich über dem Cockpit jetzt ein Spalt auftut. Die Ladeluke fährt hoch. Der ATV-Container, das „Baby“, wird auf einem stählernen Hydraulik-Kran langsam an das gähnende Loch herangefahren. Brosze steht neben der Beluga, die Hände vorm Bauch gefaltet. Es geht um zwei Zentimeter.

„Sehen Sie die Zahlen da?“, brüllt er über das Dröhnen der Triebwerke und deutet gen Container. Länge und Höhe stehen da auf Französisch, dahinter Ziffern. Der mehr als fünf Meter hohe Container kommt von einer anderen Firma. „Soll ich Ihnen mal was sagen? Keine der Zahlen hat gestimmt.“ Also nicht unbedingt die einfache Rechenaufgabe, nach der die Aktion aussieht. Und weil die Wände des riesigen Flugwals nicht starr sind, sondern in der Luft vibrieren, muss der Container Spiel haben. Zwei Zentimeter. Das ist der errechnete Abstand zwischen den Containerkanten und den Belugawänden. Die ATV-Kiste fährt auf einer Schiene in Richtung Bauch, Zentimeter um Zentimeter nähert sie sich der Öffnung. Brosze steht still, guckt hoch. Er nimmt seine Mütze ab, verharrt, setzt sie wieder auf. Der Container passiert, kein Stocken, kein Zögern. „Wunderbar“, sagt Brosze und schnauft, „genauso wie ich's mir gedacht hab.“

Der erste ATV verschwindet im Walbauch. Ein Mann in Uniform erscheint in dem riesigen Maul, guckt runter, guckt hoch, guckt in den Bauch, verschwindet. 13.15 Uhr. Um 14 Uhr wird die Beluga gen Amsterdam starten. Später dann der ATV, made in Bremen, ins All.

Susanne Gieffers

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