: Über die Ernte entscheidet die WTO
El Salvadors Bauern müssen Hybridmais aus den USA anbauen. Die WTO schützt die Rechte des Konzerns
SAN SALVADOR/BERLIN taz ■ Barfuß geht Vicente Rivas über das staubige Feld. In kleinen Schritten und kerzengeraden Linien. Nach jedem Schritt bohrt er mit einem angespitzten Pfahl eine kleine Vertiefung in den ausgetrockneten Boden. Er wirft ein paar Maiskörner hinein und wischt sie dann mit einer kurzen Schlurfbewegung des Fußes wieder zu. Was daraus wächst, ist das Brot Zentralamerikas: Mais.
Rivas, ein Campesino aus dem Nest Guarnecia im Norden von El Salvador, bestellt sein Maisfeld so, wie es die Mayas schon vor 5.000 Jahren taten. Doch der Mais ist nicht mehr derselbe. Rivas verwendet ein Hightech-Produkt aus den USA: Hybridmais vom Typ HQ61. „Der Mais ist gut“, sagt Rivas. „In guten Jahren bringt er fast das Doppelte an Ertrag als der, den wir früher hatten.“ Aber er hat auch Nachteile: „Die Pflanzen sind sehr anfällig. Sie fangen jede Plage ein. Wenn du beim Händler zum Saatgut nicht gleich auch den Dünger kaufst, kannst du die Ernte abschreiben.“ Und: „Die geernteten Körner sind taub. Sie können nicht als Saatgut weiterverwendet werden. Ich hab das schon probiert, obwohl es verboten ist. Was da rauskommt, kannst du vergessen.“ So ist das bei Hybridmais.
Von der Welthandelsorganisation (WTO) hat Rivas wahrscheinlich nie gehört. Auch nicht von dem Streit, den sein Land El Salvador zusammen mit vielen anderen Entwicklungsländern derzeit führt. Die WTO-Staaten haben ein Abkommen unterzeichnet, das Rivas direkt betrifft: Das Abkommen über handelsbezogene Rechte an geistigem Eigentum, „Trips“ genannt. Trips verlangt einen Patent- oder patentähnlichen Schutz für Pflanzen und Tiere. Die in Ländern wie El Salvador noch vorherrschende Tradition, aus der eigenen Ernte Saatgut für die nächste Aussaat zu gewinnen und es mit anderen Bauern zu tauschen, wird durch dieses Patentrecht illegal. Darüber hinaus entsprechen die Züchtungen bäuerlicher Gemeinschaften aus Lateinamerika, Afrika oder Asien nicht den Anforderungen des westlichen Patentrechts, das auf eine industrielle Saatgutzüchtung zugeschnitten ist. Gegen das Trips-Abkommen protestieren viele Entwicklungsländer. Denn von der bestehenden Regelung profitieren die Agrokonzerne der reichen Industrieländer, denen die Bauern jedes Jahr Saatgut abkaufen müssen sowie Dünger und Pestizide, die meist von derselben Firma hergestellt werden und nur bei der eigenen Sorte wirken. Die Entwicklungsländer fordern nun ein eigenes System, das ihre Tradition schützt.
Vicente Rivas wurde im Herbst 1998 durch Hurrikan „Mitch“ fast in den Bankrott getrieben. Die schweren Regenfälle hatten den größten Teil seiner Ernte weggeschwemmt. Was übrig blieb, reichte gerade für den Eigenbedarf. Also gab es auch kein Geld, um Saatgut für die nächste Aussaat zu kaufen. Rivas nahm einen Kredit auf. Ob er ihn jemals abbezahlen kann, ist fraglich.
Immerhin, es ging ihm damals besser als den Campesinos im Nachbarland Honduras. Die hatten nicht nur größere Schäden, sie hatten auch ihre neoliberale Regierung. Weil Mais nach der Katastrophe knapp war, schaffte diese vorübergehend den Importzoll von 45 Prozent ab, eine Schranke, die zentralamerikanische Produzenten vor subventionierten Billigimporten schützt. Die Folge: Der Maispreis sank nach der Katastrophe um 30 Prozent; der Anbau in Honduras wurde vollends unrentabel. Nach „Mitch“ wurden 70.000 Hektar Land weniger mit Mais bestellt.
Gegen die staatliche Bezuschussung von Exporten, die auch die EU zum Abbau ihrer Agrarüberschüsse anwendet, wehren sich viele Mitglieder der WTO, allen voran die Cairns-Gruppe, zu der sich agrarexportierende Länder zusammengeschlossen haben, darunter Argentinien, Brasilien, Thailand, Australien, Kanada sowie die zentralamerikanischen Staaten Costa Rica und Guatemala. Bislang beißen sie bei den USA und bei der EU allerdings auf Granit.
Auch jetzt herrscht wieder Maismangel in Zentralamerika. Eine ungewöhnliche Trockenheit im Sommer hat rund 75 Prozent der Ernte verdorren lassen. Trotzdem will auch diesmal die salvadorianische Regierung am Importzoll festhalten. Es werde nur so viel importiert, dass der Preis für die Verbraucher stabil bleibe, sagte Landwirtschaftsminister Salvador Urrutia vergangene Woche. Den Rest „erledigt die verborgene Hand des freien Marktes“. Vicente Rivas lacht sarkastisch über diesen Spruch: „Mit jeder Missernte erwürgt mich diese Hand ein bisschen mehr.“ TONI KEPPELERKATHARINA KOUFEN
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