: Der „Sieger von Masar-i Scharif“: Ein grausamer Clanchef
Raschid Dostam ist einer der skrupellosesten Kämpfer im Bürgerkrieg. Er stützt sich auf die usbekische Minderheit und hat einige Rechnungen mit Partnern und Konkurrenten offen
„General Dostam hatte alle Soldaten der Garnison im Hof antreten lassen. Ein Soldat, der, wie sich später herausstellte, für einen Diebstahl bestraft werden sollte, war an die Raupen eines Panzers gefesselt. Auf Befehl Dostams rollte der Panzer los, und der Mann wurde zerquetscht.“ Diese Hinrichtung erlebte der pakistanische Journalist Ahmet Raschid mit. Er schildert sie in seinem Buch über die Taliban.
Nicht nur Raschid beschreibt „Dostam Pascha“ als besonders grausamen Clanchef des Bürgerkrieges, auch andere Beobachter haben wenig gute Erinnerungen an den „Sieger von Masar-i Scharif“. So bezeichnete Hakim Teljaiv, der als Offizier der Roten Armee in den 80er-Jahren mit Dostam zu tun hatte, den Mann gegenüber der taz schlicht als „Banditen“. Seine Verbitterung ist insofern verständlich, als Dostam wesentlich dafür verantwortlich ist, dass der von der Roten Armee nach ihrem Abzug 1989 als Präsident installierte Nadschibullah nicht lange überlebte. Raschid Dostam, damals Verteidigungsminister, verriet ihn 1992 an die Mudschaheddin und ermöglichte dadurch deren Eroberung Kabuls.
Kein anderer Kriegherr in Afghanistan wechselte so oft die Seiten wie der Clanchef der usbekischen Minderheit. Erst kämpfte er mit dem Tadschiken Massud, dann wieder gegen ihn. Erst war er Minster des Präsidenten Burhanuddin Rabbani in Kabul, nur um sich wenig später mit dem paschtunischen Fundamentalisten Hekmatjar zusammenzutun, um gemeinsam Kabul zu zerstören.
Die Basis Raschid Dostams ist die usbekische Minderheit in Afghanistan, die rund zehn Prozent der Bevölkerung ausmacht. Wenn er überhaupt Loyalitäten kennt, dann nur die zu seiner Volksgruppe.
Ansonsten ist er in Söldner. Dostam kämpft da, wo der größte Gewinn zu erwarten ist. In seiner Zeit als Minister in Kabul und später als Alleinherrscher in Masar-i Scharif, wohin er sich nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban zurückzog, führte er einen luxuriösen Haushalt, in dem er sich um religiöse Einschränkungen wenig scherte.
Als die Taliban 1998 auch Masar-i Scharif einnahmen, setzte Dostam sich über Usbekistan in die Türkei ab. Für die türkischen Generäle war und ist der turksprachige Usbeke ein Verbündeter, durch den man selbst auf dem Schauplatz Afghanistan mitmischen konnte. Dostam wurde deshalb von der türkischen Regierung unterstützt, ein Teil seiner Leute ist nach wie vor in Ankara.
Mit der Einnahme Masar-i Scharifs hat sich Dostam nun nachdrücklich im Kräftespiel um die Zukunft Afghanistans zurückgemeldet. Da er die Stadt kontrolliert, über die in den nächsten Monaten der Nachschub für die Nordallianz rollen soll und in der die USA eine Basis für ihre Truppen innerhalb Afghanistans aufbauen wollen, wird sein Einfluss eher noch zunehmen. Deshalb prophezeien bereits jetzt die meisten Kenner Afghanistans, dass mit dem ersten militärischen Erfolg, den die Nordallianz gegen die Taliban erringen konnte, die alten Rechnungen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen und ihren Chefs erneut präsentiert werden. Und gerade mit Dostam hat wohl jeder andere Ex-Mudschaheddin noch eine Rechnung offen.
Für die Amerikaner und ihre Verbündeten wird sich deshalb nun noch dringender die Frage stellen, was aus Afghanistan nach einem Sieg über die Taliban werden soll. Raschid Dostam kann jedenfalls die Antwort nicht sein. JÜRGEN GOTTSCHLICH
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