: Kettenreaktion
■ Tatort: „Eine unscheinbare Frau“
„Peng!“ macht es, ein Mann ist tot, und Margit Brede (Bettina Kupfer) hat eine neue Erfahrung gemacht – sie hat sich gewehrt, im konkreten Fall gegen einen Lebensmittelhändler, der diese „unscheinbare Frau“ vergewaltigen wollte. Aber der Schuss löst eine Kettenreaktion aus: Fräulein Brede, alltags im Bremer Passamt im Dienst, nimmt die Waffe mit, deren pure Existenz ihr masochistisches Gemüt umzukrempeln scheint: Sie tut verschiedene schlimme Sachen (Junkie bedrohen, Apothekerin bedrohen, Nachbarin erschießen), vor allem aber versucht sie mit Waffengewalt, ihren Ex-Liebhaber Alfred (Henry Hübchen) wiederzugewinnen. Oder will sie sich nur rächen? Auf jeden Fall kidnappt sie den Mann, von dem sie sich auch um ihr (abgetriebenes) Kind betrogen fühlt – Auftakt eines filmischen Kammerspiels von Radio Bremen (Regie: Martin Gies), das auf jeden Fall zur Riege der außergewöhnlichen, gelungenen „Tatorte“ gezählt werden darf.
Das lag gewiss nicht am üblichen Ermittlungsbrimborium, zumal Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) ohnehin mehr mit den Au-pair-Ambitionen ihrer Filmtochter und den Ränken ihres Stellvertreters zu schaffen hatte als mit der eigentlichen Verbrecherjagd. Die Schauspieler Kupfer und Hübchen waren es, die aus diesem Tatort ein beklemmendes, zuweilen groteskes Psycho-Drama machten: Die Geschichte eines duldsamen, zu kurz gekommenen Menschen, bei dem eines Tages, rein zufällig, nach und nach die Sicherungen durchbrennen. Die Stuttgarter Schauspielerin präsentierte eine Frau, hin- und hergerissen zwischen verzweilfelter Normalität („Kommst du mit auf nen Kaffee?“, fragt sie ihren mehr und mehr aus der Fassung fallenden Ex, die Waffe in der Hand) und wachsendem Wahn.
Mädchenhafte Leichtigkeit bei einem Tanz mit ihrem geliebten Opfer, treu sorgende Weiblichkeit am heimischen Herd – zwanghafte Starre dagegegen, wenn sie Alfred beschimpft, im Kellergefängnis foltert, schlägt, verletzt. Man versteht zwar nicht so recht, warum sich der Mann nicht aus dem Staub gemacht hat, Möglichkeiten dazu gab es ja. Aus diesem Grund hat Drehbuchautor Jochen Greve ihn vermutlich herzkrank geschrieben, woran Alfred am Ende gestorben ist – in den Armen seiner Entführerin. Auch Margit Brede war ein bisschen zu schick und wohnte ein bisschen zu gut. Und Kommissarin Lürsen war am Ende irgendwie pietätlos (Tochter verabschieden, Schnaps trinken). Trotzdem: Das war mal ein ordentlicher Tatort aus Bremen, den fast sieben Millionen Zuschauer (Quote 19,1 Prozent) sahen. hase
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