: Ein Familienzwist übers „so genannte Gewissen“
Versammlung in Joschka Fischers Heimatverein: Über die wenigen Kriegskritiker wird gemault, sie sollen aber doch irgendwie integriert werden
FRANKFURT/MAIN taz ■ Die Tagesordnung ist geändert, die eigentlich vorgesehenen Vorstandswahlen werden vertagt. Das dauert nur Sekunden an diesem Dienstagabend bei der Grünen-Kreisversammlung in Frankfurt. Denn der Heimatverein von Joschka Fischer hat sich stattdessen eine aktuelle Diskussion verordnet: Über den „Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen der internationalen Koalition gegen den Terrorismus“. Zu diesem Zeitpunkt, ist schon einige Stunden bekannt, dass der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellen wird und die Regierung auf der Kippe steht – samt dem Außenminister aus Frankfurt.
Bei den rund 80 Vornamenmenschen auf der Kreisversammlung herrscht Familienatmosphäre. Radikale Kritiker an der Kriegsbeteiligung der Bundesrepublik sind gar nicht erst gekommen, die wenigen vorsichtigen Bedenkenträger haben einen schweren Stand. Die Versammlungsleiterin bemüht sich erfolgreich, Turbulenzen und allzu rüde Töne gegen die Minderheit zu vermeiden.
Michael Brumlik, der Heidelberger Professor, beharrt darauf, dass die Bombardierung Afghanistans das Problem des internationalen Terorismus nicht löst. Die Terrorpiloten von New York, sagt er, seien „nicht am Hindukusch, sondern in Florida“ ausgebildet worden. „Sollen wir jetzt Florida bombardieren?“, mault jemand aus dem Publikum.
Gar nicht bombardieren, das fordert nur eine Handvoll der Mitglieder, deren einer so spontan wie vergeblich den Antrag stellt, die Grünen mögen sich dann doch endlich „von der Heuchelei und dem schöngeistigen Geseiere verabschieden“ und das Prinzip der Gewaltfreiheit „freien Herzens“ aus dem Parteiprogramm streichen. Er stimmt am Ende als einziger für sich selbst und muss sich obendrein auch noch sagen lassen, nicht nur in Kabul gehörten die von den Taliban verordneten Bärte abgeschnitten, sondern auch bei den Grünen.
Der Pazifismus, schimpft ein anderer Diskutant, flüchte in die Beliebigkeit, „stehle sich aus der Verantwortung“. Das „so genannte Gewissen“ sei ein „mittelalterliches Relikt“. Die restlichen sieben Antragsteller variieren das Thema von fast bedingungsloser Zustimmung zum Bundeswehreinsatz bis zur Koppelung mit diversen humanitären Forderungen.
Die Diskussion wird dennoch vom Willen nach Ausgleich dominiert. Konsequente Pazifisten dürften nicht aus der Partei gedrängt werden, heißt es. Auch deren Position sei „ehrenwert und nachvollziehbar“. „Grüne müssen die Widersprüchlichkeit aushalten“, sagte die Antragsstellerin Barbara Asbrand. Sie erklärt: „Zu jedem Argument lässt sich ein ebenso schlüssiges Gegenargument formulieren.“ Sie verlangt, den Bundestagsabgeordneten „die Freiheit der Gewissensentscheidung“ gegen den Fraktionszwang zuzugestehen. Es könne nicht darum gehen, um jeden Preis in der Regierung zu bleiben. Wann schließlich sei das Gewissen so gefragt „wie bei der Entscheidung über Krieg und Frieden?“ Außerdem nütze es der Partei doch gar nichts, wenn sie sich spalte „und 2002 keine Wählerinnen mehr hat“. Sie erhält einigen Beifall, ihr Antrag aber unterliegt.
Der ehemalige hessische Justizminister, Rupert von Plottnitz, mahnt, die Erfolge der rot-grünen Bundesregierung nicht aufs Spiel zu setzen: „Wenn ich denke, dass die Koalition kippt und den Grünen die Verantwortung dafür zugeschoben wird, dann graust es mir.“ Währenddessen mühen sich die Funktionsträger der Partei vor der Tür, die neuesten Nachrichten über das mögliche Abstimmungsverhalten der acht Berliner Abweichler zu erhalten: „Der Ströbele rudert schon zurück“, klingt es hoffnungsvoll in den Saal.
Am Ende entscheidet sich die Versammlung mehrheitlich für die Vorgabe des Vorstandes und damit dafür, den Einsatz der Bundeswehr auf der Grundlage „kritischer Solidarität“ zu befürworten. HEIDE PLATEN
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