piwik no script img

Einarmige Banditen

Das Festival „Gaga 2“ zeigt Filme, in denen Behinderte vollkommen unvollkommen leben

Perfektion der Erbmasse bleibt weiter die Utopie der Biowissenschaften

von ANDREAS BUSCHE

Zwischen dem ersten Gaga-Filmfest und dem heute startenden zweiten liegen eine Menge erbittert geführter Humangenom-Debatten, dutzendweise Leitartikel und die Gründung eines so genannten Ethikrats. Die Frage nach dem Wert des menschlichen Lebens wird inzwischen von höchster Stelle beantwortet. Seit der Politisierung dieser bisher vor allem den Kirchen vorbehaltenen Problematik des Themas weht ein neuer, sozialdarwinistisch geprägter Wind durch die Entscheidungsgremien und Beraterstäbe. „Präimplantationsdiagnostik“, „Stammzellen“ und „Menschenzüchtung“ gehören heute zum allgemeinen Sprachschatz. Die Gepflogenheiten in der Bio-Industrie sind rau, die Skrupel gering, entsprechend lax werden hier auch moralische Einwände gehandhabt. Das Recht auf Imperfektion wird dabei zum Luxusgut.

Wie sehr sich die Diskussionen um Pränataldiagnostik und Eugenik doch ähneln, zeigt ein Film auf dem zweiten Gaga-Festival ganz deutlich. Peter Cohens Dokumentation „Homo Sapiens 1900“ liefert die Grundlagen für eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit der Rassenbiologie. Cohen verfolgt die Spuren der Pseudowissenschaft Eugenik zurück bis an ihre Ursprünge. Und er deckt Fälle von institutioneller Zwangssterilisation und Erbhygienie auf, die längst in den Archiven verschwunden waren. Schon Anfang des letzten Jahrhunderts hatte die Eugenik unter amerikanischen „Forschern“ begeisterte Anhänger gefunden, in Schweden wurde noch bis Mitte der 70er-Jahre zwangssterilisiert. Geändert haben sich die Methoden und der Tonfall, das Streben nach größtmöglicher Perfektion der Erbmasse bleibt weiter die Utopie der Biowissenschaften.

Dass die Sorgen um ein „würdevolles Behindertenleben“ völlig unberechtigt sind, sagt die amerikanische Agrarwissenschaftlerin Temple Grandin in der Dokumentation „Eine Brücke zu euch“ ausdrücklich. Hätte sie die Chance, durch einen operativen Eingriff in ihr Gehirn von ihrem Autismus geheilt zu werden, sie würde es nicht machen. Grandin hat in jahrezehntelangem Training gelernt, die Krankheit als Bereicherung für ihr Leben zu akzeptieren. Wie viele Autisten denkt sie nur in Bildern; was sie nicht gegenständlich begreifen kann, existitiert in ihrem Erfahrungsschatz einfach nicht. „Eine Brücke zu euch“ führt ein in eine fast surreale Wahrnehmungswelt, in der automatische Schiebetüren eine erotische Anziehungskraft besitzen und Sprache ihre poetischen Qualitäten nie besessen hat. Eine Freundin sagt, dass sie keinen Menschen kenne, der die Welt so „anders“ wahrnimmt wie Temple. Und genau das mache sie zu einem besonderen Menschen.

Gerade die dokumentarischen Beiträge, in denen eben nicht Rücksichtnahme propagiert wird, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Menschen, gehören zu den besten – und dann auch gleich noch zu den humorvollsten – des Festivals. Für „Up Syndrome“ filmte der 25jährige Filmstudent Duane Graves über ein Jahr lang das Leben seines Freundes René Moreno, der das Downsyndrom hat. Die Unmittelbarkeit, die sich aus der engen Beziehung der beiden ergibt, ist unglaublich charmant; Renés pubertäre Energie macht jede noch so profane Aktion zu einem kleinen Spektakel. Der episodische Erzählfluss und die Machart des Films erinnern an Slacker-Komödien, und ganz ähnliche Probleme beschäftigen auch René: Kung-Fu-Filme, Star Wars, Mädchen, Schule, McJob.

In „My one-legged Dream Lover“ dagegen begibt sich Kath Duncan in die (eher maskuline) Welt des „Amputee Fetish“, in der Arm- und Beinlose sinnlich-verklärt wie auratische Erscheinungen behandelten werden. Duncan, die mit nur einem Arm und Bein geboren wurde, begegnet Männern, die träumen, ihre Stümpfe zu liebkosen, sich „Amputee Magazines“ kaufen und verschämt vor Prothesengeschäften herumdrücken. „My one-legged Dream Lover“ gibt sich nicht der Lust des Bizarren hin, sondern zeigt Duncan und ihre Verehrer vor allem bei langen Gesprächen. Sie ist sich der Gefahr der Fetischisierung bewusst, lernt aber auch zu verstehen, dass es Männer gibt, für die ihr Armstumpf dieselbe Attraktivität besitzt wie für andere blaue Augen oder ein fester Hintern.

Ein kleines Highlight ist der US-Indie „Jefftowne“, der auf dem New York Underground Filmfest mit einem Preis ausgezeichnet wurde. Die Boshaftigkeit, mit der Regisseur Daniel Kraus das Leben von Jeff Towne, einem 38jährigen mit Downsyndrom,schildert, hat etwas Provozierendes und ist doch frei von Verlogenheit. Seine Mutter hat Jeff für das Leben vorbereitet, aber der hängt lieber mit Freunden rum, guckt Pornos, säuft Bier, fasst vorbeilaufenden Frauen an den Arsch und liebt „Star Trek“ und Wrestling. So kommen auch William Shatner und Hulk Hogan zu Gastauftritten – alles sehr „white trash“.

Bei den Fiktionen begegnen wir alten Bekannten wie „Uneasy Rider“, der iranischen Produktion „Die Zeit der trunkenen Pferde“ und „Dancer in the Dark“, letzterer als blindengerechter Hörfilm aufbereitet. Ein besonders ambitioniertes Unterfangen stellt „Ready, Willing & Able“ dar, ein kleiner Actionfilm um eine ehemalige Spezialagentin, die nach einem Unfall vom Rollstuhl aus operieren muss. Qualitativ wirkt es eher wie der Pilot einer Fernsehserie, sein Selbsthilfeprojektähnlicher Charakter macht den Film aber zu mehr als einer Festival-Fussnote. Regisseurin Jenni Gold und ihre Hauptdarstellerin Chris Templeton, beide an den Rollstuhl gefesselt, sind ein gutes Team und haben einige realistische Action-Szenen geschaffen, ohne ins Lächerliche abzudriften.

Dieses heterogene Programm macht „Gaga 2“ angenehm undidaktisch. Es sollte auch den Genom-Debatten einigen Wind aus den Segeln nehmen. Dass es an Behinderten auch in Zukunft nicht mangeln wird, wie Hubert Markl vom Max-Planck-Institut kürzlich süffisant feststellte, hat niemand bezweifelt. Was stört, ist der zynische Unterton.

Gaga 2, bis 28.11., Informationen unter: www.gaga-filmfest.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen