: Wer das glaubt . . .
Stierkampf in Deutschland? Joseph Fischer als Hollywood-Figur?Der Fake: Anmerkungen zu einer unverzichtbaren Textgattung
von BARBARA HÄUSLER
Eine der dankbarsten, gleichzeitig aber auch schwierigsten Textsorten, die auf der Wahrheit-Seite gepflegt wird, ist der Fake. Gattungsdefinitorisch geht er so: Die darin erzählte Geschichte ist erstens frei erfunden, was man ihr zweitens aber nicht anmerken darf – jedenfalls nicht gleich. Dafür muss sie drittens immer mindestens einen deutlichen Hinweis darauf enthalten, dass es sich hier um kompletten Unsinn handelt. Eine handwerklich anspruchsvolle Herausforderung also für Autoren und Redaktion gleichermaßen.
Die am meisten gestellte Frage nach einem Fake lautet: „Warum, um Himmels willen, macht eine Zeitung so was?“ Die Antwort darauf zerfällt in drei Teile: einen theologischen, einen pädagogischen und einen wirtschaftlichen. Der theologische Teil der Antwort beruht auf einer anthropologischen Grundkonstante, die von den redaktionellen Erfahrungen vollauf bestätigt werden kann: Der Mensch WILL glauben. Was in diesem Zusammenhang ungefähr gleichbedeutend ist mit: Der Mensch will betrogen werden.
Aus diesem Grund heißt der pädagogische Teil der Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“ natürlich: „Darum!“ Da eine Zeitung – und vor allem die Wahrheit! – der Aufklärung verpflichtet ist, ist es für sie geradezu zwingend, den Leser, auch er schließlich ein Mensch, gelegentlich aus seiner anthropologischen Beschränkung, ja, herauszuschütteln. Und das geht eben sehr schön mit einem Fake, der daran erinnert, nicht jeden Unsinn zu glauben oder doch zumindest einmal darüber nachzudenken, warum er so einen Unsinn glaubt. Etwa dass Hollywood es interessant finden könnte, Joschka Fischers Leben zu verfilmen.
Zugleich gibt es kein zuverlässigeres Instrument, um das reibungslose Funktionieren menschlicher Reflexe zu überprüfen: Je nachdem, ob es sich bei den Protagonisten der Fakes um Stiere, Damen oder blutende Madonnenstatuen handelt, müssen – dem auf dem Reiz-Reaktionsschema basierenden Versuchsaufbau folgend – Tier-, Frauen- oder Gesangbuchfreunde aufschreien, Fluten empörter Leserbriefe schreiben oder mit Abo-Kündigung drohen. Was sie dann auch tun und der Redaktion damit die beruhigende Gewissheit geben: Sie sind alle noch da, verlässlich zuckend.
Häufig wird die Frage nach dem „Warum?“ mit der Behauptung verknüpft, so könne man doch „keine Zeitung machen!“ Das führt zum wirtschaftlichen Teil der Antwort: kann man sehr wohl. Denn erstens bewirkt das menschliche Beharrungsvermögen auf dem Glaubenwollen eine automatische Qualitätssteigerung der Texte, weil es Autoren und Redaktion dazu zwingt zu überlegen, was sie eigentlich noch alles tun müssen, damit man ihnen nicht glaubt. Und zweitens erzielt kaum ein anderes Textgenre mehr Reaktionen als ein Fake. Beides zusammen mehrt Bekanntheit und Ansehen der Zeitung, bringt also etwas, marktwirtschaftlich gesprochen.
Daran sind gerade andere Medien – Zeitungen, Nachrichtenagenturen und allen voran die Privat-TV-Belieferer – nicht ganz unbeteiligt: als zuverlässige Multiplikatoren des Unfugs. Ihre Glaubensfähigkeit ist gegenüber dem einfachen Leser noch gesteigert. Nur Journalisten stellen die alles entscheidende Zusatzfrage: „Kann ich bitte nähere Informationen zu dieser interessanten Geschichte haben?“ Manchmal hat man ja welche, und dann lässt schon mal eine bekannte Hamburger Illustrierte die von Gerhard Henschel liebevoll gefälschte Bakschisch-Quittung Bob Marleys per Overnight-Kurier aus Berlin abholen. Oder man lädt Fritz Tietz, Autor der Geschichte über einen Mann, der angeblich „Barbie-Puppen mit Neurodermitis“ herstellt, gleich zu einer Talkshow ein.
Nun warten wir nur noch auf Belege für die Globalisierungsfähigkeit unserer Fakes. Ihr wirkungsgeschichtliches Potenzial beweisen sie bereits: So wird Frau Wieczorek-Zeul noch heute gefragt, warum sie den taz-Reporter für seinen Beitrag zur Wahrheit-Serie „Bei Ministers zu Haus“ überhaupt hereingelassen hat. Man muss deshalb damit rechnen, auch noch einmal – sagen wir – im Nouvel Observateur über den Teppichwebstuhl zu stolpern, auf dem Michael Naumann in der gleichen Serie entspannungshalber Rubens-Bilder nachknüpfte.
Für die Redaktion bedeutet der Umgang mit Fakes also eine große Verantwortung. Aber eben auch eine große Bereicherung. Schließlich stiften sie Kontakte zu vielen interessanten Menschen, mit denen man im gewöhnlichen Redaktionsalltag sonst eher weniger zu tun hat: Blutwundergläubige, Forstamtsleiter, Qigong-Lehrer, Kirchenvorsteher, Höhlenforscher, Bob-Marley-Fans – herrlich!
Zusammengefasst: Fakes sind schön, nötig und nützlich. Seien Sie wachsam!
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