piwik no script img

Back to the Menschlichkeit

Bewusst infantil: Heute ziehen die White Stripes in der Maria ihren Sound aus und machen aus Lärm wieder Schönheit

Wer jetzt an Pommes Rot/Weiß denken muss, leistet sich eine passende Assoziation

Es ist wahr: The White Stripes hören sich aufregend an. Der Trick ist einfach: Beschränkung. Ein schepperndes Minimalschlagzeug und eine Gitarre, die ausnahmsweise nicht im Computer tot digitalisiert, sondern durch einen altmodischen Verstärker gejagt wird – mehr braucht es nicht, um momentan die Musikwelt auf den Kopf zu stellen.

Und das tun Jack und Meg White: Innerhalb von Stunden ausverkaufte Konzerte in Britannien, Hauen und Stechen zwischen Plattenfirmen, große Geschichten über eine kleine Band in allen wichtigen Musikzeitschriften. Zwar fällt in jedem Artikel über die White Stripes der Name Strokes, aber mehr als ähnliche Frisuren hat man eigentlich kaum gemeinsam mit den New Yorker Wunderkindern. Eher bewegt man sich zwischen Garage und Sumpf, oder, um mal die gloriose Vergangenheit des Genres zu bemühen, zwischen Violent Femmes und den Cramps. Wie eingeflogen aus den tiefsten Sixties klingen die White Stripes, wie aus der Mülltonne. Diesmal aber ist es Absicht und garantiert kein billiger Vierspur-Rekorder, den der Bassist anschaffte, weil man sich ein richtiges Studio nicht leisten konnte.

„Bewusst infantil“ beschreibt Sänger und Gitarrist Jack White den bis aufs grobe Gerippe ausgezogenen Sound. Passenderweise kommt man auch noch aus Detroit, Rock City, USA, und wenn man nun will, kann man MC5 und die Stooges auch hören. Selbst aber sieht man sich eher in der Tradition früher Blues-Legenden. Mit einem anderen, momentan noch sehr viel prominenteren Sohn der Stadt, Kid Rock nämlich, hat man zumindest den White-Trash-Look gemein, wenn auch hier in seiner kleinbürgerlichen, eher intellektualisierten Variante. Eher aus einer Laune heraus denn als grundlegendes modisches Konzept hat man sich entschlossen, ausschließlich in roten und weißen Klamotten in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Wer jetzt an Pommes Rot/Weiß denken muß, leistet sich eine dann doch irgendwie passende Assoziation.

Von Pussy Galore über Royal Trux gab es bislang allerlei Traumpaare des Schmuddelrock, aber Jack und Schlagzeugerin Meg White drehen die Seifenoper noch ein paar Umdrehungen weiter: In Interviews gibt man sich nicht nur pseudorebellisch gelangweilt, sondern läßt auch gern mal offen, ob man nun geschwisterlich verwandt ist oder durch Trauschein oder auch keins von beiden. Anschließend beobachten sie fröhlich die Legendenbildung. Der New Musical Express warf prompt mal wieder die Hype-Maschine an, hievte die White Stripes aufs Titelbild und behauptete bei einem ihrer Konzerte der Wiedergeburt des Rock’n’Roll beigewohnt zu haben. Mal abgesehen davon, dass der NME nächsten Monat höchstwahrscheinlich das sofortige Wiederableben von R’n’R verkünden wird, ist das allzu viel Verantwortung für zwei so schmale Schulterpaare, seien sie nun verwandt oder auch nicht.

Tatsächlich gibt es wahrscheinlich in jeder mittleren Kleinstadt zwischen Osnabrück, Niedersachsen, und Oskaloosa, Iowa, eine ganze Handvoll Bands, die sich ziemlich genau so wild und ungebärdet anhören und aufführen wie die White Stripes. Aber ein Musikgeschäft, das solche Klänge zuletzt konsequent ignorierte, stieß bei der Suche nach neuer Aufregung eben auf die beiden Whites und damit auf die Vergangenheit: Denn garantiert hat man es hier nicht mit der Zukunft des Rock zu tun, sondern mit einem auf einem reichlich staubigen Dachboden versteckten Fotoalbum.

Der Erfolg von New Soul, von Reggae, von Bands wie den Strokes oder eben White Stripes beweist aber vor allem eins: Die Leute sind es müde, dass man der meisten Musik nicht mehr anhört, dass sie von menschlichen Wesen gemacht wird. Selbst Hard Rock und der Großteil des modernen Blues klingen heute wie vom Reißbrett, von Britney-Pop oder Drum & Bass und dessen Folgen ganz zu schweigen. Mit The White Stripes wird Lärm wieder zur Schönheit und dadurch die Menschlichkeit wieder eingeführt. THOMAS WINKLER

Heute abend, ab 21 Uhr, Maria, Straße der Pariser Kommune, Friedrichshain

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen