DAS UN-KRIEGSVERBRECHERTRIBUNAL WIRD NOCH IMMER MANIPULIERT: Eingeschränkte Genugtuung
Jetzt muss sich Slobodan Milošević auch für Verbrechen in Bosnien und Herzegowina verantworten. Doch für die Opfer wird der anstehende Prozess vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal nur eine eingeschränkte Genugtuung bringen. Denn dem riesigen Militär- und Geheimdienstapparat der Nato-Länder in Exjugoslawien ist es noch immer nicht gelungen, die anderen Hauptverantwortlichen der „ethnischen Säuberungen“ von 1992 bis 1995 zu fassen. Angesichts von insgesamt über 200.000 Toten ist das unverständlich – schließlich kann man ja gerade derzeit sehen, was möglich ist, wenn die USA und die Nato-Länder Terroristen wirklich fangen wollen. In Bosnien bräuchte es dafür nicht einmal einen Krieg, sondern tatsächlich nur eine Polizeiaktion. Deshalb drängt sich der Eindruck auf, dass hier politisch nicht gewollt wird, was öffentlich gefordert wird.
Die Geschichte der Verfolgung der Kriegsverbrecher im ehemaligen Jugoslawien weist von Anfang an einige Ungereimtheiten auf. Zu oft spielten die politischen Interessen verschiedener Seiten für die Politik des Gerichts eine viel zu große Rolle. Das gilt auch im Fall Milošević. Der ehemalige jugoslawische Präsident hat sogar in gewisser Weise Recht, wenn er behauptet, das Kriegsverbrechertribunal sei eine politische Veranstaltung. Allerdings anders, als er es meint. Nichts gegen die mutige Chefanklägerin Carla del Ponte, die von der Nato mehr Verhaftungen fordert. Der wichtigste Sündenfall liegt weit vor ihrer Zeit. Als man Milošević brauchte, um den Krieg in Bosnien zu beenden, war trotz der schon damals erkennbaren erdrückenden Beweislast nicht die Rede davon, ihn als Kriegsverbrecher anzuklagen. Stattdessen durfte Milošević helfen, einen Kompromiss auszuhandeln, der Bosnien faktisch teilte und damit die ethnischen Säuberer auch noch belohnte. Und auch das Kriegsverbrechertribunal wagte nicht, gegen ihn zu ermitteln.
Natürlich hat der damalige Chefunterhändler Richard Holbrooke durch das Hofieren Milošević’ versucht, Kompromisse herauszuholen, ohne einen Krieg der Nato gegen Jugoslawien zu riskieren. Dass aber das Kriegsverbrechertribunal – immerhin eine Institution der Vereinten Nationen – mitspielte, warf schon damals Fragen über dessen Unabhängigkeit auf. Dass sich die Spielräume des Gerichts mittlerweile vergrößert haben, ist eine Tatsache. Aber wenn das UN-Kriegsverbrechertribunal in Zukunft wirklich Recht sprechen soll, muss es völlig unabhängig sein. ERICH RATHFELDER
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