: Viel mehr als nur ein Humorist
Ewig missverstanden: Max Goldt liest heute im Schauspielhaus ■ Von Eberhard Spohd
Es mag vergnüglich sein, darüber zu spekulieren, ob man tatsächlich Finn Crisp mit Holstener Liesel serviert bekommt, wenn man beim Schriftsteller Max Goldt zum Abendessen eingeladen wird. Das zumindest hat der Autor in einem seiner Texte mal in Aussicht gestellt. Doch es ist eher unwahrscheinlich, dass der Leser jemals in Goldts Welt eindringen wird, geschweige denn, dass er dort etwas zu essen bekommt.
Über Goldt werden viele Miss-verständnisse immer weiterkolportiert. Beispielsweise die, er notiere in seinen Texten, vornehmlich seinen Kolumnen, die er zwischen 1989 und 1998 monatlich in der Satirezeitschrift Titanic veröffentlicht hat, skurrile Alltagsbeobachtungen. Dass dieser Quatsch sich so lange gehalten hat, liegt wohl vornehmlich an ihrem Ich-Erzähler. Nur selten kamen die Kritiker auf die Idee, dass es sich dabei gar nicht um Goldt selber handelt und auch der Ausdruck Kolumne gar nicht so recht zu den Texte passt. Denn „nicht selten vertrat die Ich-Figur Ansichten, die sich von denen des Autors unterscheiden“, wie der Berliner selbst einmal schrieb.
Dazu kommt, dass Goldt fast nie über den Alltag vor seiner Tür berichtet, sondern zum Erfinder eines eigenen Kosmos wird, einen Parallel-Alltag konstruiert, der die Figuren erst möglich macht, von denen erzählt wird. In seinem literarischen Credo formulierte er, in seinen Aufsätzen solle es zugehen wie „in der vollgestopften Wohnung einer einst gefeierten, verwahrlosten, bettlägerigen, ihr eigenes Elend trunken bekichernden Diseuse, d. h. rührend, bedenklich und durcheinander. Wie schön wäre es, wenn man da herumwühlen könnte, während die Diva leise röchelt, da gäb es reichlich Anlaß, abwechselnd ernst und heiter zu blicken.“
Hier klingt auch das zweite Missverständnis um Max Goldt an. Denn er ist zwar häufig komisch, ein Humorist, Satiriker, Parodist oder Komiker ist er nicht. Ein Meister in verschiedenen Gattungen und Stilformen, kann man ihn kaum auf einen Bereich festlegen. Schon gar nicht auf den Humor. Allzuhäufig gibt es in den Texten überhaupt nichts zu lachen, wird ernsthaft über Sachverhalte referiert, die dem Autor – und dann mut-maßlich tatsächlich Goldt selbst – unglaublich auf den Senkel gehen. Das geschieht in verdichteter Form, ruft eine eigene Sprache und Gegenständlichkeit hervor, und dafür gibt es einen Fachbegriff: Literatur. Goldt gehört zu den stilsichersten Schriftstellern deutscher Sprache. Er hat Gedichte veröffentlicht, Kurzgeschichten, Dramolette, Hör-spiele, er schrieb Stücke für ein Puppentheater und Texte für Comics, er parodiert Reden und Autobiografien, den Reisebericht oder das Radiointerview.
Doch einem mit dieser literarischen Sozialisation – vom Sänger und Autor in einer Berliner Underground-Zeitschrift über den Kolumnistenjob, einem, der auch noch in schöner Regelmäßigkeit durch das Land tingelt und seine Texte vorträgt, ohne dass er Werbung für ein neues Buch macht – traut die Literaturkritik nicht so leicht über den Weg. Darum geht Goldt mit sei-ner schriftstellerischen Tätigkeit durchaus auch öffentlich hausieren, wenn er sagt, dass in seinen Büchern „nicht nur blasse sprachliche Koketterien, sondern auch ein wenig Weltliteratur“ vorkommt. Denn auch das steht fest: Was Max Goldt schreibt, muss man ernst nehmen, „ironisch ist nicht vieles“.
Das war schon zu Zeiten so, als Goldt noch Teil von Foyer des Arts war, einer Gruppe, die abwechselnd hochkomische und tiefmelancho-lische Stücke auf die Bühne brachte. Der Humor wurde geliebt, der Rest einfach übersehen. Doch der 43-Jährige ist ein großer Moralist. Viele seiner Texte handeln davon, wie die Welt – die reale und nicht der Parallel-Alltag – zu einem besseren Plätzchen gemacht werden könnte. Goldt ist ein Aufklärer, der Missstände aufgreift und sehr konservativ, im Wortsinne, also bewahrend, wertet. Seine Kolumen aus dem Oktober 1992, der die Molotow-Cocktail-Würfe und Beifallsbekundungen in Rostock-Lichtenhagen zu Grunde liegen, gehörten zum Besten, Fundiertesten, aber auch zum Ehrlichsten, was damals geschrieben wurde. Wahrgenommen wurde es kaum. Und auch der Versuch, das Internet wieder aus den Schulklassen zu verjagen, wie es im neuesten Buch Der Krapfen auf dem Sims gefordert wird, und statt dessen die Kulturtechniken Nummer eins und zwei, Lesen und Schreiben, wieder zu fördern, ist sicher zum Scheitern verurteilt.
Doch immerhin bleibt ein Trost: Wenn Max Goldt aus seinen Werken liest, verweht das Moralische der Texte und macht Platz für eine Leichtigkeit, in der dem Zuhörer alles richtig und wahr vorkommt. Dann entsteht, wenigstens für kurze Zeit, die bessere Welt des Max Goldt.
heute, 20 Uhr, Schauspielhaus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen