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Das Sutra der Veränderung

Die Zukunft ist Philosophie: Sein aktuelles Album hat Herbie Hancock ganz am Computer gebastelt. Doch bei seinem Konzert in der Columbiahalle öffnete sich für Momente die Tür zum Jazz-Pianisten

Es ist warm. Vorhänge teilen den Konzertraum der Columbiahalle in Nischen auf, in kleine atmende Höhlen des Hörens. Dabei werden die auf verschiedenen Ebenen im Raum verteilten Verstärker zu Klanginstallationen, zu einem imaginären Klangraum als ästhetisches Kunstwerk. Ein poetisch-philosophischer Ansatz, der durch Textzitate von Aldous Huxley und Walt Whitman verstärkt wird.

Die organisch-psychodelischen, in ständiger Bewegung ineinander zerlaufenden Farbformen auf der Hintergrundleinwand brechen sich in ihrem gleichmäßigen Bewegungsablauf mit der Musik, die als elektronische Zeitcollage auf der Bühne entsteht.

In diesem audiovisuellen, von Produzenten Bill Laswell geschaffenen Gesamtkonzept sitzt ein fröhlicher Herbie Hancock hinter seinem Korg-Karma-Keyboard mit angeschlossenem Labtop. Er ist ebenso verkabelt wie die Bühne selbst, so dass der Steinway-Flügel erstmal gar nicht auffällt.

In Berlin beginnt die Deutschlandtour des 61-jährigen Hancock, der sich mit diesem Album wieder an die Clubszene angedockt glaubt. Technik, sagt er von der Bühne herab, sei Wissen, sei Vergangenheit. Die Zukunft aber ist Philosophie. Die „Weisheit“, sich zu öffnen, Veränderung zuzulassen.

Diese Worte liest Hancock aus dem Lotus Sutra von Daisaku Ikeda. Statt mit Nerzkragen und mit Ferrari-Schlüssel, tritt der in den 70ern zum Buddhismus Konvertierte hier ganz schlicht in schwarzer Jeans und Pullover auf. Nur seine getönte „Ambient-Detroit-Techno-Brille“, die er auch auf dem Cover seiner neuen CD „Future2Future“ trägt, hat er dabei.

Das am Computer zusammengebastelte Album, eine Mischung aus Drum’n’Bass und süßlicher Retro-Fusion mit dem Versuch, an den Hancock/ Laswell-Hit „Rockit“ von 1983 anzuknüpfen, wird in der Live-Version zum Sample von Hancocks Biografie. Den Albumpart von Wayne Shorter übernimmt der Trompeter Wallace Roney als Miles-Kopie, während „DJ Disc“ mit seinen Turntables den 80er-Jahre- Hancock von „Future Shock“ zitiert. Dabei sieht Hancock selbst sein Projekt als visionär. Auf der Internet-Seite future2future.com beschreibt er sein Album als „Statement der kreativen Möglichkeiten für das 21. Jahrhundert“.

Dementsprechend groß ist die Erwartung. Was hat Hancock uns Neues zu sagen? Doch schnell wird die Gleichförmigkeit der Stücke zu einem metallisch dröhnenden Industriesumpf, der gähnende Langeweile hervorruft, während sich der Großteil der 1200 Anwesenden zunehmend eigenen Gesprächen und der Bar zuwendet. Dazwischen liegen die kurzen Momente, in denen sich die Tür zu Hancock selbst öffnet, hin zu dem Pianisten, der auf dem Flügel improvisiert und die ganze Essenz des Jazz in einen Akkord legen kann. Schon der Anschlag ist reiner Hancock – sein Sound, den er seit den 60er Jahren hat, seit „Takin’ Off“, seinem Blue-Note-Erstling, allein dafür lohnt sich das Herumstehen.

Später gibt seine Plattenfirma noch eine Party für Hancock im Charlottenburger Jazzclub A-Trane. Hier spielt er noch mal eine müde Version von „Cantaloupe Island“, kurz und dröhnend. Dann erzählt er etwas von einer anderen Party in irgendeiner Stadt, die er vergessen hat – Paris oder Amsterdam – als er nach dem Konzert nochmal über eine Stunde gespielt hätte. Das würde er aber nicht mehr machen. Er sei viel zu müde. MAXI SICKERT

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